Papillon auf Welttournee

Pazifik

2017-04-12 Durchgeschleust

Einige Dschungel-Wanderungen später rückt unser Transittermin in greifbare Nähe und wir verlegen uns für die letzten Vorbereitungen in die Shelter Bay Marina nach Colon. Die Stadt erhielt ihren Namen übrigens von den spanischen Eroberern im Andenken an Kolumbus. Erst seit der Fertigstellung des Panamakanals 1914 liegt sie am „Hinterausgang“ der Karibik. Ein medizinischer Hintergrund der Namensgebung kann also ausgeschlossen werden, drängt sich aber mit Blick auf die heruntergekommenen Bausubstanz, die hohe Kriminalitätsrate und die Farbgebung des Hafenwassers immer wieder auf.

PAPILLON liegt am Steg während ihr Wasserpass unter der Last einer Taxi-Ladung Proviant, der für den Kanaltransfer vorgeschriebenen Festmacheleinen (4 Stück mit mindestens 22mm Querschnitt und 38m Länge) und der zum Kollisionsschutz empfohlenen acht verpackten Autoreifen immer tiefer in den Ölfilm auf der Wasseroberfläche eintaucht. Unsere Crew für die Passage ist angeheuert. Ein Australier, eine Neuseeländerin und ein Spanier stehen in den Startlöchern um die monströsen Leinen in den Schleusen zu bedienen. Die Terminverschiebung der Kanalverwaltung um einen Tag haben sie geduldig hingenommen. Flexibilität ist wichtig! Yachten sind im Geschäft des Panamakanals erschreckend unbedeutend. Das spürt man. Normalerweise werden täglich drei bis sechs Yachten in jede Richtung geschleust. Zurzeit ist Hochsaison und die Wartezeit für Yachten, die sich nach uns angemeldet haben, beträgt inzwischen etwa einen Monat. Wir rechnen mit reichlich Gesellschaft und blicken etwas ungläubig um uns, als wir den Anker in den leeren „Flats“ (Ankerplatz für Kleinfahrzeuge, an dem die Kanalpassage startet) fallen lassen. Zwei Stunden haben wir noch bis zur vereinbarten Abfahrtszeit. Matthias beginnt mit der Einweisung der Linehandler und Katja bereitet eine kleine Zwischenmahlzeit vor, während ein Lotsenboot deutlich Kurs auf PAPILLON absteckt. Kurz darauf springt unser Advisor auch schon an Bord, erklärt uns, dass wir heute allein durch den Kanal gehen und der Schleusentermin gerade um zwei Stunden vorgeschoben wurde. Es wäre super, dass wir schon so zeitig am Treffpunkt lägen und wir könnten den Anker nun lichten, die Zeit drängt. Bevor wir uns fragen können, weshalb wir Telefonnummer und E-Mailadresse bei der Anmeldung angeben mussten, wenn man uns dann doch nicht kurzfristig informiert, sind wir bereits mit voller Fahrt unterwegs zu den Gatun-Schleusen. Egal! Dabei hätten wir dem Advisor so gerne noch etwas auf unserem teuer erstandenen, selbstblasenden Nebelhorn vorgespielt…

Wir freuen uns auf das mehr als 100 Jahre alte Technische Museum Panamakanal und hoffen auf eine ereignislose Passage.




Die erste Gatun-Schleuse schließt sich langsam hinter uns und beendet erhaben das Kapitel zur Karibik. Wir schauen auf mehr als 25 Monate voller beeindruckender Reiseerlebnisse in Martinique, St. Vincent, Grenada, Jamaika, Kuba, Kaiman, Providencia, Mexiko und Panama zurück. Nun schwimmt PAPILLON zum ersten Mal im Süßwasser. Wir sind im Niemandsland zwischen den Ozeanen. Etwas später liegen wir 27m höher im Gatun-See an einer Boje, baden mit den Krokodilen und saufen uns mit Balboa-Bier die Enge der Schlafplätze zu fünft auf Papillon schön.

Nach den Strapazen am ersten Tag, mit vier Leinen in der Mitte der Schleuse bei erhöhter Geschwindigkeit (8 statt der üblichen 12 Minuten Schleusenzeit) haben wir am zweiten Tag auf der Pazifikseite leichtes Spiel und dürfen längsseits an das Ausflugsboot „Isla Morada“, das an der Außenwand geschleust wird.




Die „Isla Morada“ ist noch zwei Jahre älter als der Panamakanal und war einst die noble Motoryacht Al Capones. In versteckten Tanks wurden mit ihr  in der Zeit der Prohibition Rum und Whiskey aus Jamaika und Kuba nach Florida geschmuggelt. Heute bietet der aktuelle Eigner touristische „Erkundungsfahrten“ durch den Panamakanal an. Wir werden als weitere Attraktion in den Tagesausflug eingebunden. Der Animateur verabschiedet uns nach jeder Schleusung und begrüßt uns in der nächsten Kammer über die Lautsprecher. Betagte US-Touristen beugen sich über die Bordwand hinab und bombardieren uns mit trivialen Fragen. Für unsere Geduld bekommen wir von der Crew ein paar gekühlte Getränke gereicht und können uns ansonsten zurücklehnen. Die Frage, wie viele Menschen denn an Bord unserer kleinen Yacht schlafen, beantworten wir wahrheitsgemäß mit: normalerweise zwei, letzte Nacht fünf und im Moment nur einer – unser Advisor.





Schließlich sind wir in drei Stufen auf das Niveau des Pazifiks hinabgeschleust, das letzte Tor der Miraflores Locks öffnet sich und vor
unserem Bug erstreckt sich der Pazifik bis weit über den Horizont. Wie ein Blick auf unseren aufblasbaren Globus verrät, sogar mächtig weit. Den beschwerlichen und sturmgepeitschten Weg um Kap Horn hätten wir nun sauber abgekürzt. Mit Geld geht eben (fast) alles.




Panama City bildet den Kontrast zu den strukturschwachen Provinzen. Hier ist alles deutlich moderner, sauberer und wohl auch sicherer als im übrigen Land.



Geschäfte, Taxis und Busse sind bis auf antarktische Temperaturen herunterklimatisiert. Wie Rohrpost lassen wir uns per U-Bahn unter glänzenden Wolkenkratzern hindurchschießen und genießen den gut organisierten öffentlichen Personennahverkehr zum kleinen Preis. Für wenige Cent lässt sich so die ganze Stadt erkunden. Panama City zieht sich als schmales Band kilometerlang am Pazifikufer entlang und war mit entsprechend hohem Verkehrsaufkommen ohne Umgehungsmöglichkeiten jahrelang ein Paradebeispiel stadtplanerischer Teilleistungsschwäche. Seit der Eröffnung der Cinta Costera, einer in den Ozean vorgebauten Schnellstraße und der ersten Metrolinie im Jahr 2014 entspannt sich die Situation etwas. Neben der fertiggestellten Metrolinie „L1“ sind noch eine „L2“ und eine „L3“ in der Planung. Vom Ancon Hill in der ehemaligen Kanalzone gibt es nach sportlicher Vorleistung einen lohnenden Rundumblick über die Stadt und die Pazifikschleusen des Panamakanals.

Leider erst sehr spät, bei unserer Verproviantierung für die 8000km lange Pazifikpassage, besuchen wir die Abastos-Markthallen mit einer Riesenauswahl an Obst und Gemüse zu besten Preisen direkt vom Erzeuger. Wir decken uns ein, bis die Last unserer Rucksäcke dem Kaufrausch ein Ende setzt.

Wir rechnen mit etwa 40 Tagen auf See, bis wir dann Ende Juni Französisch Polynesien erreichen werden. So lange müssen die Hamsterkäufe der letzten Tage reichen.



2017-06-12 Blauwasserwochen

Als letzter Anlaufpunkt vor den unendlichen Weiten des Pazifiks bieten sich die vorgelagerten Las-Perlas-Inseln an. Wir gehen dort für zwei Tage vor Anker, putzen noch einmal das Unterwasserschiff und treffen letzte Vorbereitungen für die anstehende Überfahrt. In der Zwischenzeit kündigen die Wetterprognosen für den Nordpazifik den ersten Wirbelsturm der Saison an. Er wird sich in wenigen Tagen vor den Küsten Costa Ricas und Nicaraguas bilden und festigt unsere Entscheidung, Galapagos südlich, anstatt auf der etwas kürzeren Nord-Route zu passieren. Als am Nachmittag leichter Wind aufkommt, hieven wir kurzentschlossen den Anker, werfen einen sehnsüchtigen Scheideblick in Richtung Land und setzen die Segel. Im Sonnenuntergang liegt das Las-Perlas-Archipel bereits in unserem Kielwasser und das letzte Handynetz verliert einen Empfangsstrich nach dem anderen. Einige hundert Meter vor uns brodelt das Wasser und erzeugt Geräusche, die an ein entferntes Silvesterfeuerwerk erinnern. Während wir dem Spektakel näher kommen erkennen wir unzählige Rochen, die im letzten, rotgelben Tageslicht „flügelschlagend“ etwa ein bis zwei Meter hoch aus dem Wasser springen und laut platschend wieder auf der Meeresoberfläche aufschlagen. Rund um PAPILLON flattert und platscht es bis zum Horizont. Was für ein Abschied! Während wir zurückgelehnt den maritimen Applaus genießen, spüren wir, wie PAPILLON auf weichem Untergrund aufläuft und sanft einige Zentimeter emporgehoben wird. Danach kräuselt sich das Wasser und zwei Walhaie tauchen direkt neben uns auf. Diese friedlichen Riesen ernähren sich ausschließlich von Plankton und zeigen sich trotz des Zusammenstoßes wenig interessiert an uns. Völlig fasziniert von diesen seltenen Naturerlebnissen segeln wir in die erste Nacht unserer langen Passage auf dem größten Ozean der Erde.

Beim Verlassen der Bucht von Panama dreht der Wind erwartungsgemäß auf Südwest und soll uns für die nächsten 7-10 Tage direkt auf der Nase liegen. In ungemütlicher Schräglage kreuzen wir gegenan und trotzen dem Pazifik mühsam Meile für Meile ab. Wir erreichen die „Innertropische Konvergenzzone“ und verschwinden für die nächsten zwei Tage unter einer dicken Wolkenschicht, die uns das Sonnenlicht auf ein dunkelgraues Minimum dimmt. Ständige Squalls mit ergiebigen Regengüssen setzen dem anfänglichen Segelidyll ein jähes Ende. Trockene Kleidung wird rar. Dann ist es zunehmend heller am Horizont und wir verlassen endlich das gewaltige Wolkenband an seinem südlichen Ende. Unsere nasse Wäsche trocknet flatternd in der Sonne. Nachts zeigt sich ein grandioser Sternenhimmel und PAPILLON zieht einen langen Schweif aus Leuchtplankton hinter sich her. Rund um unser Schiff spielen Delfine in der Dunkelheit. Leuchtplankton zeigt deutlich die Umrisse ihre Nasen und Köpfe, die schließlich in einem glitzernden Schweif münden, der ihnen die Gestalt von Nachtgespenstern verleiht. Nach weiteren, beinahe mondlosen Nächten verschwindet der Polarstern dann komplett unter der Kimm und der Wasserstrudel im Waschbecken kehrt seine Richtung um. Der Äquator ist überquert. Wir segeln jetzt auf der Südhalbkugel. Das Ereignis trifft uns in sehr müder Morgenstunde, ist inmitten der Wasserwüste in etwa so spektakulär, wie einst der Übertritt des Null-Meridians im Mittelmeer und gilt, der Tageszeit angemessen, mit einem schwach intonierten Zweiwortsatz des Skippers vorerst als ausreichend gewürdigt.

Während wir Galapagos in großer Entfernung umschiffen, dreht auch der Wind mehr und mehr nach Achtern, PAPILLON erhebt sich aus ihrer Schräglage und Entspannung bestimmt wieder das Bordleben. Wir backen frisches Brot, fangen jede Menge Fisch und kochen täglich leckeres Essen. Im ersten brauchbaren Licht des zunehmenden Mondes versucht sich der Skipper im Nachtangeln und gewinnt nur mit Mühe gegen einen besonders hartnäckigen Kämpfer an der Hakenseite der Schnur. Ein großer Kalmar hatte auf den Tintenfischköder gebissen und liegt nun schlaff im Eimer. In Fragen der küchenfertigen Vor- und der kulinarischen Zubereitung stellt uns der Kannibale mit den gruseligen Leuchtreflexen auf der Hautoberfläche nun vor neue Herausforderungen. Auf „Italienische Art“ landet er schließlich gebraten und mit sehr viel frischem Knoblauch auf dem Teller und schmeckt hervorragend nach Knoblauch.

Auf halber Strecke trübt sich der Himmel. Wind und Seegang nehmen deutlich zu. Es wird ungemütlich bei durchschnittlich 4m hohen Wellen. Wegen allgemeiner Appetitlosigkeit stellen wir den Fischfang vorübergehend ein, greifen zur geschmacksarmen Fertignahrung und konzentrieren uns nur noch auf die unvermeidlichen Alltagsaktivitäten. Leider zählt auch die Reparatur des gerade erst in Panama installierten neuen Autopilotantriebs britischer Marke dazu. Wegen einer bei der Produktion nicht ausreichend angezogenen Sicherungsschraube hat sich das Ritzel gelöst und fliegt nun mit weiteren Befestigungselementen wie in einem Flipper durch die kaum zugängliche Bilge. Begleitet von einigen Flüchen auf die Verantwortlichen in der Produktion sind nach etwa einer Stunde mit Mühe alle Teile wieder eingefangen und nun fest montiert. Die Technik übernimmt wieder bereitwillig ihren Dienst, was wir in den aktuell raueren Bedingungen sehr zu schätzen wissen.

Mit der Zeit beruhigt sich das Wetter. Die Angel hängt tagsüber wieder am Heck und wir ernähren uns von frischem Fisch. Hin und wieder bergen wir nach kurzen, heftigen Gefechten jedoch nur noch abgebrochene Angelhaken und arg verbogene Bleiköder. Unser Anfangsverdacht wird bestätigt als schließlich ein halber Fisch mit riesigen Bisswunden an der Angel hängt. Nach diesem gruseligen Fang entdecken wir später auch einen Hai in den Wogen, der uns noch den ganzen Tag begleiten wird.

Ansonsten verlaufen die Tage und Wochen auf See recht ereignisarm. Der Pazifik erstreckt sich rundum bis zum Horizont und ist einfach riesig.




Knapp fünf Wochen lang sehen wir kein Land und zwischen Galapagos und Polynesien gerade einmal zwei Schiffe  in  weiter Ferne. Seevögel begleiten uns auf der gesamten Strecke und fordern immer wieder zum Kampf ums Revier. Ohne permanente Gegenmaßnahmen ergreifen sie sehr schnell Besitz an PAPILLON und beginnen unverzüglich mit der Guano-Produktion.




Wir reisen westwärts gegen die Erdrotation und verlängern damit, abhängig von der jeweils zurückgelegten Strecke, jeden Tag um 7-10 Minuten. Um die Bordzeit annähernd mit dem Sonnenstand zu synchronisieren, drehen wir also beinahe jede Woche an der Uhr und stellen um eine Stunde zurück.

Während unsere Positionseintragungen auf der Karte immer dichter an die Inselgruppe der Marquesas heranrücken, steigt die Vorfreude auf den bevorstehenden Landfall. Der Moment des Ankommens nach langer Zeit auf See ist jedes Mal überwältigend. Wir durchleben einen von erwartungsfroher Aufgeregtheit begleiteten Countdown, der vielleicht etwas mit dem Warten auf die weihnachtliche Bescherung in Kindertagen vergleichbar ist. In die Morgendämmerung des 34. Tages auf See zeichnet sich dann endlich die ersehnte Silhouette der Insel Fatu Hiva. Eine Gruppe Delfine empfängt uns bei Sonnenaufgang etwa 20 Meilen vor unserem Ziel und eskortiert uns einen großen Teil der verbliebenen Strecke. Wir sitzen fasziniert im Cockpit und bestaunen die grandiose Landschaft, die sich direkt vor uns aus dem Meer erhebt und erreichen schließlich die traumhafte Bucht von Hanavave. Wir haben es bis Polynesien geschafft und liegen uns glücklich in den Armen.




2017-06-30 Fronkraisch, Fronkraisch

Während wir den Anker an sehr viel Kette im stark abfallenden Grund setzen, wandert unser Blick das erste Mal seit Wochen wieder über PAPILLONs Bordwand. Der einst so weiße Rumpf ist bis zur Hälfte unter einer braun-grünen Algenschicht verborgen. Durch das ständige Eintauchen in die Ozeanwellen war es hier immer feucht genug, um dem hartnäckigen Bewuchs einen guten Nährboden zu bieten. Am Unterwasserschiff hängt eine Kolonie von Entenmuscheln und wiegt sich rhythmisch in der Strömung. Mit Schwamm und viel Geduld wird die Fassade in zwei Arbeitseinsätzen mühsam wieder freigelegt, derweil ein Schwarm großer Fische sämtliche Entenmuscheln unter der Wasserlinie im Rausch des Futterneids gleich in einem Arbeitsgang beseitigt. Auf Fischfang verzichten wir innerhalb der Ankerbuchten besser, um keine Vergiftung mit Ciguatera zu riskieren. Das für den Menschen gefährliche Algengift ist in den riffnahen Fischbeständen Polynesiens leider weit verbreiteten.



Die meiste Zeit des Tages verbringen wir endlich wieder an Land und wandern, was unsere untrainierten Muskeln hergeben. Fünf bewegungsarme Wochen auf See hinterließen deutliche Spuren. Im Dschungel, am Wasserfall und an zahlreichen Aussichtspunkten in den Bergen genießen wir die schroffe Schönheit Fatu Hivas.



Ab und zu fallen Kokosnüsse von den Palmen und schlagen wie Granaten in beängstigender Nähe ein. Die Wege sind sauber, die Landschaft frei von Müll. In den gepflegten Vorgärten wächst jede Menge Obst. Zitronen fallen reif von den Bäumen und verfehlen glücklicherweise nicht immer unsere Taschen. Die Bewohner lächeln, grüßen freundlich und beschenken uns reichlich mit Pampelmusen von ihren gerade voll hängenden Sträuchern. Abends fallen wir todmüde in die Kissen. Bis uns die kräftigen, nächtlichen Böen aus den umliegenden Bergen wecken und zum Kontrollgang auffordern, schlafen wir wie die Steine. Unser Anker hält tapfer im schlammigen Grund, den der einmündende Fluss hier über Jahrtausende angeschwemmt hat.

Nach ein paar Tagen des „Ankommens“ auf  Fatu Hiva setzen wir erneut die Segel und erreichen nach einem Tagestörn Atuona, den Hauptort der Insel Hiva Oa. Schon aus der Ferne sieht man ein Heer von Masten in der Dünung schwanken, die ungehindert am kleinen Wellenbrecher vorbei in den Hafen einläuft. Die enge Bucht ist knackvoll mit Ankerliegern, die mangels Platz zum Schwojen fast alle vor Bug- und Heckanker in einer undurchsichtigen, braunen Brühe liegen. In Atuona können wir auch endlich einklarieren. Nun halten wir uns offiziell in Französisch Polynesien auf und sind wieder in der Europäischen Union, wenn auch nicht im Euro-Raum. Am Bankautomaten ziehen wir bunte Polynesische Franc, die neben Alkohol und Zigaretten hier als einziges Zahlungsmittel akzeptiert werden. Im Dorf gibt es einen Bäcker, der mehrmals täglich französisches Baguette an die vier kleinen Geschäfte ausliefert. Dort ist dann auch der, für ein lange entbehrtes kulinarisches Vergnügen ergänzenden Weichkäse erhältlich.





Während wir leben wie Gott in Französisch Polynesien gehen schnell einige Tage ins Land. Der Anker steckt fest im Morast und wir werden schließlich noch Zeugen des wöchentlichen Hafenspektakels um die Ankunft des Versorgungsschiffs. In dieser Woche zwängt sich die ARANUI 5 in das enge Hafenbecken. Alle Yachten werden bereits Tage vorher über UKW-Funk informiert und aufgefordert, rechtzeitig den Hafen bis auf einen kleinen, markierten Randbereich zu räumen. Wir liegen glücklicherweise schon richtig und bekommen nun reichlich neue Nachbarschaft. Die Yachten rücken immer dichter zusammen, Ankerketten überkreuzen sich. Beinahe jede Yacht die sich in den nächsten Tagen hier bewegen wird, zieht irgendeinen fremden Anker mit aus dem Grund. So lernt man sich näher kennen. Dann ist es soweit. Wie in Zeitlupe schiebt sich die ARANUI 5 in den winzigen Hafen. Das Schiff ist in einen Fracht- und einen Passagierbereich gegliedert. Die Ladekränen und Container auf dem Vorschiff disharmonieren avantgardistisch mit dem als Kreuzfahrtschiff ausgelegten Heck, das 254 Passagiere aufnehmen kann. Es ist jedoch nicht die unstimmige Form, sondern vielmehr die Größe, die indiskrete Nähe und schließlich die starke Strömung beim Anlegemanöver dieses Stahlriesen, die auf den verankerten Yachten vielfach den Atem stocken lässt. Das kleine Örtchen ist daraufhin mit hell gekleideten französischen Senioren geflutet, die sich den ganzen Tag über in der Nähe der wenigen Geschäfte tummeln. Bis zum Abend drehen sich die Kräne im Hafen. Dann schiebt sich die ARANUI 5 unter den bangen Augen der Yachties mit viel Propellerstrom wieder rückwärts aus dem Hafenbecken.

Als nächstes Ziel nehmen wir die kleine Insel Tahuata vor den Bug. In einer ruhigen Bucht mit weißem Palmenstrand verbringen wir einige Tage mit Baden, Schnorcheln, anstehenden Reparaturen und etwas Unterbodenpflege. Täglich schweben große Manta Rochen durch das klare Wasser und filtern sich mit weit aufgerissenen Mäulern das Plankton heraus, ein faszinierender Anblick

Wo auch immer wir während der nächsten Wochen unseren Anker fallen lassen, treffen wir auf äußerst gastfreundliche Menschen und eine grandiosen Landschaft mit atemberaubenden Ausblicken nach meist ebenso atemberaubenden Aufstiegen.




Außerhalb der „Zentren“ bieten sich einige Transportmöglichkeiten und erweitern unseren Aktionsradius erheblich. Auf den teils unbefestigten Verkehrswegen passieren uns nur sehr wenige Fahrzeuge am Tag. Fast ausnahmslos hält man neben uns und bietet eine Mitfahrgelegenheit je nach Platz im Fahrgastraum oder auf der Ladefläche an. Man lässt hier offensichtlich niemanden gern laufen, so lange im eigenen Fahrzeug noch Stauraum verfügbar ist.

Im winzigen Dörfchen Hanaipa auf der Insel Hiva Oa lernen wir William kennen. Er sucht den Kontakt zu Seglern und führt seit Jahren Gästebücher, in die er alle seegehenden Passanten bittet, sich einzutragen. Wir bekommen voller Stolz seine Sammlung von inzwischen acht unikaten Kladden präsentiert, die vor dem eigenen Eintrag alle erst komplett durchzusehen sind. Er achtet streng darauf, dass auch keines ungesehen zur Seite gelegt wird, während er uns mit selbstgemachter Limonade und Früchten aus seinem Garten bewirtet. Etwas versteckt, überwuchert von einem Strauch entdecken wir erst beim Verlassen seines Anwesens das selbstgemalte Schild „Williams Yacht Club“.



Spektakulär und kaum besucht ist die Nordküste der Hauptinsel Nuku Hiva. In Hatiheu liegen wir selten mit mehr als einer weiteren Yacht vor Anker zwischen den gewaltigen Felstürmen. Die Nachbarbucht Anaho ist mit 5-6 Ankerliegern etwas stärker frequentiert, was vielleicht einem der wenigen weißen Sandstrände der Marquesas geschuldet ist.



Nach einer anstrengender Wanderung nehmen wir an einem abgelegenen Strandabschnitt das verdiente Erfrischungsbad in der Brandung und finden uns sogleich inmitten mehrerer kleiner Schwarzspitzenhaie wieder, die hier vermutlich ohne „Mutti“ handliche Beute jagen. Auch wenn wir nicht auf ihrem Speisezettel stehen, will sich die ungetrübte Badefreude nicht so ganz einstellen und wir gehen zurück an Land, wo wir noch kaum angefochten als Spitze der Nahrungskette gelten.






2017-08-28 Menschenfresser der Marquesas

Kleine Wellen plätschern munter gegen PAPILLONs GFK-Rumpf. Am Ufer kräht ein Hahn, Vögel zwitschern, eine Windböe rauscht durch die Palmwedel im Tal. Am blauen Himmel ziehen eilig einige Passatwolken westwärts. Kondensstreifen haben wir seit Monaten nicht mehr gesehen. Auch zu hören ist in den einsamen Ankerbuchten nur selten etwas von der Zivilisation. Abends und an den Wochenenden dröhnen mitunter dumpfe Trommelklänge, düsteres Männergeschrei und helle Frauengesänge durch die Täler. Es klingt nach exotischem Ritual mit großem Kochtopf.



Als vor wenigen Jahren ein deutscher Segler unter mysteriösen Umständen hier auf der Insel Nuku Hiva ermordet wurde, war sich die Boulevardpresse der westlichen Welt darin einig, dass trotz weitreichender Christianisierung der Kannibalismus auf den Marquesas zurückgekehrt sei. Tätowierungen des Mörders wurden als „Kannibalen-Tattoos“ gedeutet, Interviews im „Kannibalen-Dorf“ geführt und Hintergrundberichte von der „Todesinsel“ veröffentlicht. In unserer naiven Arglosigkeit sehen wir lediglich imposante Muster in den großflächigen Tätowierungen der jungen Männer, denken uns nichts dabei, als wir einen Löffel und Tage später sogar eine Plastikgabel am Strand finden, fragen uns auch nicht, ob das geschenkte Obst eventuell den Fleischgeschmack …, also wie beim spanischen Kastanienschinken…

Stattdessen finden wir in fast jedem Dorf eine Traditionstanzgruppe, die ihre Choreografie für das große Festival oder auch den nächsten Auftritt vor den Kreuzfahrttouristen der ARANUI 5 einstudiert. Vielleicht bleiben wir ja noch bis zum Festival, das im Dezember auf der Insel Tahuata stattfinden soll und leben bis dahin hier mit den Südseeinsulanern. Die entspannende Ruhe weitab von Straßenverkehr und Großbaustelle, der süße Blütenduft, der statt Abgaswolken schwallweise über die Bucht zieht und die grandiose Landschaft haben es uns angetan. Unser Zeitempfinden kann schon lange nicht mehr mit dem Kalender Schritt halten, gelungene Entschleunigung eben. 



Das leise Rauschen eines Regenschauers in der Ferne wird allmählich lauter und kommt deutlich näher. Zwei Menschen blicken kurz von ihrer Tätigkeit auf und schauen sich tief in die Augen. Sind alle Luken geschlossen? Dann lass regnen! Es prasselt los. Kostbares Süßwasser findet seinen vorbestimmten Weg vom Stoffverdeck in die Wasserspeicher. Unter Deck wird in aller Ruhe weiter recherchiert, repariert, ausgebessert, gepflegt, gereinigt, geschmiert, entworfen, gebastelt, Wetter gecheckt, Fotos eingelesen oder auch Reiseblog geschrieben. Im Riff hinter PAPILLONs Heck wimmelt es von Speisefischen. Große Red Snapper streiten um jeden Brotkrümel, der über Bord geweht wird. Hier wurde seit Jahren nicht geangelt. Die Fische der Anaho-Bucht sind fast ausnahmslos mit Ciguatera vergiftet. Sie ahnen, dass sie uns nicht gut bekommen, habe jede Scheu vor Menschen verloren und tummeln sich tapfer und farbenfroh in unmittelbarer Nähe. Abends verräuchern wir eine Insektenspirale an Bord und umgeben uns mit einer Wolke selbst produzierten Repellents aus Gewürznelken und Kakaoöl um uns die lästigen Nonos vom Leib zu halten. Diese winzigen, fliegenden Blutsauger sind noch weit vor den Haien die gierigsten Menschenfresser der Marquesas.





2017-10-09 Segelnde Nomaden



Die Haatuata-Bucht an der Ostküste Nuku Hivas ist den vorherrschenden Winden und der Pazifikdünung direkt ausgesetzt. Bei kräftigem Passat baut sich hier im flachen Wasser eine meterhohe Brandung auf und weckt abenteuerliche Badeträume. Starke ablandige Strömungen und giftige Quallen mahnen jedoch eindringlich zur Vernunft und machen uns zu reinen Zuschauern dieses schaumig-dröhnenden Naturschauspiels. Während der letzten Wochen wurden viele Seeblasen hier angespült. Sie sind die kleineren Verwandten der Portugiesischen Galeere. Ihre etwa 4 cm großen, durchsichtigen Gasblasen ragen über die Meeresoberfläche und stülpen sich im Wind zu kleinen Segeln, mit deren Hilfe sie über den Ozean reisen. Eine solche Miniaturregatta hatten wir bereits auf hoher See amüsiert beobachtet. Die unzähligen tapferen Segler wirken an der Oberfläche durchaus sympathisch. Unter Wasser ziehen sie jedoch hauchdünne, bis zu 10 Meter lange Tentakel hinter sich her, die bei Berührung äußerst schmerzhafte Wunden hinterlassen. Glücklicherweise können Seeblasen nur mit dem Wind segeln und so keine geschützten Badebuchten in Lee anlaufen. Dort wo die Pazifikwellen direkt aufschlagen, ist jedoch immer mit ihnen zu rechnen. 



Allmählich wird es Sommer in den südlichen Tropen. Der Passat nimmt ab und mit ihm auch die Anzahl durchreisender Segelyachten, die sich alljährlich in den Wintermonaten von den gleichmäßigen Winden (gemeinsam mit den Seeblasen) auf der „Barfußroute“ westwärts um den Erdball schieben lassen. Längst sind auch die wegen besserer Versorgungsmöglichkeiten beliebteren Ankerplätze vor den Hauptorten der Marquesas nahezu verwaist. Der Pulk dürfte sich inzwischen jenseits der Datumsgrenze etwa 4000 km weiter westlich im Königreich Tonga oder auf den Fiji-Inseln befinden und den Absprung nach Neuseeland vorbereiten. In einem Monat beginnt die Wirbelsturmsaison. Bis dahin sollte jeder Skipper einen halbwegs sicheren Rückzugsort in Reichweite kennen. Die Nordinsel Neuseelands ist dabei die erste Wahl im Südwestpazifik. Sie bis zum Sommer zu erreichen, bestimmt den straffen Zeitplan vieler Yachten in Transit. Einmal im Westpazifik angekommen, ist der Weg zurück nach Französisch Polynesien gegen den Südäquatorialstrom und die vorherrschenden Winde jedoch kaum mehr unter Segeln zu realisieren. Durchgerauscht ist eben dann auch durchgerauscht. 



Wir haben Zeit und Möglichkeit, noch visumfrei zu bleiben und den einen oder anderen Tag am Strand zu vergeuden. Am Ufer  imitieren Krabben die Tanzschritte von Michael Jackson und gefräßige Nonos stechen Tattoos in Blindenschrift auf die Oberarme. Die Konsumgesellschaft ist weit weg. Der einzige Anzug an Bord ist ein Tauchanzug. Obst gibt es je nach Saison direkt vom ungespritzten Baum. Eine spärliche Auswahl an Grundnahrungsmitteln bieten winzige Dorflädchen, die auch nicht immer gleich als solche zu erkennen sind. Wir haben auf den 25.000 Kilometern unserer bisherigen Reise noch keine so hohe Dichte an glücklichen Gesichtern gesehen. Nur manchmal geht das Bier auf der Insel aus und sehnsüchtige Männerblicke suchen tagelang den Horizont nach der ARANUI 5 ab, die hoffentlich bald Nachschub aus Tahiti liefern wird.



2017-10-17 Oktoberfest 

Unsanft rappelt uns der Wecker aus dem Morgenschlummer. Verschlafen und verzweifelt suche ich diesen Knopf für Ruhe und inneren Frieden. Es kann nicht gesund sein, wenn ein Tag mit Zorn beginnt. Aber heute gehen wir das Risiko ein und stehen noch vor den Hühnern auf. Eine Stunde später sitzen wir mit zwei Segelfreunden bereits hoch über der Ankerbucht auf dem Pass, den der schmale, von Schweiß getränkte Pfad zum Nachbarort überquert. Mit erhöhtem Puls genießen wir den Ausblick und füllen reichlich verlorenes Wasser nach. Ein herrlicher Morgen liegt über der Insel. Der sportliche Teil des Weges ist geschafft. Von hier aus wird es noch ein Spaziergang, der uns in einer weiteren Stunde zum historischen Platz für rituelle Zeremonien irgendwo im Wald bei Hatiheu führt. Für die Gäste eines Kreuzfahrtschiffes, das auf dem Weg von Hawaii nach Tahiti für einen Tag hier vor Anker gegangen ist, gibt es heute ein inszeniertes Volksfest. Seit Wochen werden wir von den Freunden im Dorf immer wieder darauf hingewiesen. Wir sollten es auf keinen Fall verpassen, ihre Tanzgruppe kostümiert zu erleben, traditionelles Handwerk und regionale Kochkunst zu sehen. Außerdem sei da noch das Buffet, alles selbst gemacht, lecker und inklusive.

Unter düsteren Trommelklängen betreten wir den Festplatz. Olli steht im Naturkostüm aus Palmwedeln und Ziegenknochen am Eingang und begrüßt uns freundlich lächelnd mit ein paar erklärenden Worten. Wir sehen uns um und entdecken noch viele bekannte Gesichter unter Feder- oder Blumenschmuck.





Ein harmonisches Fest nimmt seinen Lauf. Es wird getanzt, gesungen und wild gebrüllt. Aus der Feuergrube riecht es nach gekokeltem Fleisch und warmer Brotfrucht.



Ein Kreuzfahrttourist im Aloha-Hemd und weißen Tennissocken beklagt sich lautstark darüber, dass die Tänzer für die besten Fotomotive falsch platziert seien und fordert, die Anordnung licht- und landschaftsgerecht neu zu arrangieren. Man quittiert sein Geschrei lächelnd mit einem Kopfschütteln während seine blasse Gesichtsfarbe schnell einem ebenso ungesunden karminrot weicht. Die herbeigeeilte Reisebegleiterin kümmert sich fürsorglich um den erregten Gast.



Das angelandete, ausschließlich weibliche Servicepersonal des Kreuzfahrtschiffes ist mit Funkgeräten ausgestattet, strategisch günstig über den Festplatz verteilt. Sie haben alles im Blick und im Griff. Eine junge Russin, die seit Tagen in einem winzigen Zelt am Nachbarstrand campiert, wird auf frischer Tat mit den Fingern am Buffet ertappt und mit Verweis auf Eigentumsrechte unbarmherzig vom Futtertrog abgedrängt. Unser Freund Olli beobachtet die verpatzte Nächstenliebe und versorgt fortan die Handvoll  individualreisender „Zaungäste“ mit ein paar gehamsterten Leckerbissen.

Für uns wird es Zeit, den Heimweg anzutreten. Wir machen im Dorf noch ein paar Einkäufe bei Luise, trinken einen Kaffee mit ihr und kraxeln vor dem Sonnenuntergang zurück über den Berg zur PAPILLON.



2017-11-15 Integration

Mit dem abnehmenden Passat während des Sommers drehen Wind und Dünung von Südost auf nordöstliche Richtungen. Die meist spiegelglatte Wasseroberfläche der verträumten Anaho-Bucht gerät mehr und mehr in Wallung. PAPILLON wiegt uns im Rhythmus der einlaufenden Wellen. So schlafen wir zunächst tiefer und länger. Als die Bewegungen mit den Tagen heftiger werden und rollfähiges Obst durch den Salon flippert, reift unser Entschluss zur Wohnsitzverlegung. Schade! In Anaho sind wir nach fast drei Monaten Sesshaftigkeit gut integriert. Es gibt Sonderkonditionen auf Gurken und Tomaten in der kleinen Farm eines benachbarten Tals. Die Insulaner bringen uns auf Bestellung seltene Waren aus dem Hauptdorf mit. Zum Kaffee, Essen, Feiern, Mitnehmen von Obst und frisch gejagter Ziege winkt man uns heran. Katja ist gefragt, sobald irgendwo Schmerzen die Südseeidylle trüben. In Nachbarschaftshilfe praktiziert sie in zwei Tälern ein breites Repertoire aus Rücken-, Hand-, Knie-, Ellenbogen-, Becken- und Schulterbehandlung. Von den Bewohnern lernt sie, aus Wurzeln und Kokosmilch einen BIO-Wundermatsch zur Behandlung von Schwellungen und Hämatomen herzustellen. Zunächst noch schwer beeindruckt von den Therapiebereicherungen durch geheimnisvolle Naturprodukte argwöhnt Matthias im bunten Traum durchschaukelter Nächte den beginnenden Wandel seiner Physiotherapeutin zur Schamanin, an dessen Ende ein unfrisiertes Weib mit einem Kopfschmuck aus Federn und Tierknochen im Rauch verbotener Gräser lautstark den bösen Geist aus den Gliedern der Geplagten verscheucht. Es ist also höchste Zeit, den Anker zu hieven und zu einem ruhigeren Liegeplatz aufzubrechen.

Zunächst lassen wir PAPILLON ein paar Tage vor dem Hauptdorf Taiohae um ihren Anker schwojen. Im 1.500 Einwohner zählenden Zentrum der Marquesas decken wir einen akut aufkommenden Bedarf an Schulmedizin und stopfen einige Löcher in unserer bescheidenen Versorgung an Bord. Unser erbarmungslos auf Bergpfaden geschundenes Schuhwerk verlangt nach Zuwendung oder sogar Ersatz. Im feucht-heißen Klima der Tropen löst sich der Leim auf und die Sohlen ab. Selbst die besten Reparaturen halten hier selten länger als sechs Wochen. Inzwischen ist jeder Kleber-Vorrat auf PAPILLON verbraucht. Neue Schuhe im Sinne unserer Definition gibt es auf den Marquesas kaum zu kaufen. Mitunter findet sich das eine oder andere Paar aus Kunstleder in ausgefallenen Restgrößen zwischen all den bunten Flip-Flops und einem schier unerschöpflichen Vorrat an immer denselben farblosen Plastikbadeschuhen. Vermutlich ist da vor Jahren mal ein Container mit dem Zeugs angeschwemmt worden. Zu unserem Erstaunen zieren die markanten Abdrücke dieses gewagten Schuhwerks hier selbst schwierigste Pfade weit oben in den Bergen. Auf unserer Schatzsuche in Taiohaes Stöberläden stoßen wir schließlich doch noch auf einen Spezialkleber aus Holland. Er wird uns vorerst die unter Aspekten der Gesundheit, Ästhetik und Sicherheit strikt abzulehnende Integrationsleistung beim Schuhwerk ersparen.



Je nach Wind- und Wellenrichtung wechseln wir von nun an die Ankerbucht und werden von den immer wieder beeindruckenden Landschaften zu viel Bewegung an der frischen Luft motiviert. PAPILLON hält sich mit Reparaturanforderungen derweil weitestgehend zurück und wir kommen endlich auch mit unseren Französischlektionen wieder etwas vorwärts. Nous allons bien (oder so).





2017-12-11 Sport-und Wellnesstage

Nuku Hiva erhebt sich steil einige hundert Meter aus dem Meer empor und bildet im Inselinneren ein Hochplateau. Hier liegen die Temperaturen um etwa 10 Grad unter denen auf Meeresspiegelniveau. Abgesehen vom abschreckend langen, steilen Aufstieg schreien die Bedingungen geradezu nach einer Radtour mit Weitblick. Leider sind die Berge sehr oft in den Wolken verschwunden und das Warten auf passendes Wetter zieht sich etwas in die Länge. Schließlich werden unsere Mountainbikes doch noch aus den Tiefen der Backskiste geborgen, montiert, geschmiert und im ersten Morgengrauen im aufblasbaren Landungsboot zum Strand bugsiert. Bei noch flachem Sonnenstand hoffen wir, die 860 Höhenmeter zum ersten Aussichtspunkt auch untrainiert überleben zu können.



Während wir später die Strapazen der letzten Stunden tief ins Unterbewusstsein vergraben, stehen wir mit hängender Zunge am Abhang einer senkrechten Felswand und blicken glücklich in die bodenlose Tiefe.



Einem Picknick bei erfrischenden Temperaturen in luftiger Höhe folgt nun eine weitaus angenehmere Strecke durch die grüne Landschaft des Plateaus.



Irgendwo im Nichts stehen plötzlich die Bullen auf der Straße und blockieren jede Weiterfahrt. Wir steigen von den Rädern und nähern uns zögerlich der Straßensperre. Ein übergewichtiger Oberbulle dreht sich zu uns um, baut sich auf und demonstriert jede Menge Macht. Alle Blicke sind auf uns gerichtet. Die Situation beginnt zu knistern. In dem Moment nähert sich laut hupend ein Jeep. Die Rindviecher geben den Weg frei und wir können ohne Schaden passieren. Zum Abschluss unserer Radtour wandeln wir schließlich die am Morgen beim Aufstieg mühsam angestaute potentielle Energie auf der etwa 10 km langen Abfahrt zurück ans Meer in einen gehörigen Geschwindigkeitsrausch um. Kurz vor dem Ziel verabschiedet sich mit lautem Knall ein Schlauch auf  der heißgebremsten Felge und markiert so das Ende des schönen und sportlichen Ausflugs.

Die folgenden Tage setzen wir unser Sport- und Wellnessprogramm fort. In der Ergotherapie entstehen Weihnachtsschmuck und „Bordschittchen“ (ein dem Adventsstollen angelehntes Weihnachtsgebäck mit regional verfügbaren Zutaten). Außerdem wuchert der submarine Garten unter PAPILLON wieder etwas und wir treten mit dem Spachtel am Handgelenk zur Unterwassergymnastik an.



2018-01-03 Hochsommer

Ein angenehmer Segeltag mit raumem Wind vor der Südküste Nuku Hivas neigt sich seinem Ende. Seit einer Stunde begleitet uns eine sehr agile Delfinschule. Immer wieder setzten die blassnäsigen Akrobaten zu spektakulären Luftsprüngen an. Manche drehen auch eine Pirouette, bevor sie in das aufgewühlte Meer eintauchen. Wir starten den Motor und lassen ihn im Leerlauf tuckern während wir die Segel einrollen. Das Wasser in der verwinkelten Einfahrt zur versteckten Hakaui-Bucht brodelt. Umliegende Felswände reflektieren den auftreffenden Seegang mehrfach. Es entstehen diffuse  Interferenzwellen. Ohne jede Besegelung und trotz ausgekuppelter Schraube macht PAPILLON noch immer ungebremste Fahrt in Richtung der Öffnung zwischen den hoch in den Himmel ragenden Felswänden. In den amtlichen Seekarten gibt es eine Warnung vor kräftigen und unregelmäßigen Strömungen. Im Zusammenspiel mit den Kabbelseen sorgen sie für ein ruppiges Fahrvergnügen, wie es Schausteller auf heimischen Weihnachtsmärkten derzeit für die schwindelfreie Kundschaft anbieten. Kurz vor dem Verlust des letzten bisschen Glaubens an einen geschützten Ankerplatz hinter dieser Wildwasserbahn öffnet sich dann schließlich doch der Blick auf eine geschützte Bucht. Die Fahrt wird sanfter, die verkrampften Hände lockern ihren Griff und der Anker fällt schon bald auf einem der schönsten Ankerplätze unserer bisherigen Route.



An einer gewaltigen Felswand entlang schlängelt sich das Hakaui-Tal weit ins Inselinnere bis zum Vaipo-Wasserfall, der vom Hochplateau über mehrere hundert Meter herunter in die Tiefe reicht. Wie in vielen schönen Gegenden dieser Welt, erheben seit Juni 2017 nun auch die Anwohner der vor uns liegenden Augenweide eine Gebühr fürs Anschauen des malerischen Tals. Wer immer diese wunderschöne Landschaft einst aus dem Felsen formte und sie gegen jede ökonomische Versuchung bis zum heutigen Tag noch nicht vollends zerstörte, hat wohl die 9,-Euro pro Besucher und Tag auch redlich verdient. Dem Wasserfall, als triumphalem Finale der zweistündigen Wanderung ist nach einer mehrwöchigen Schönwetterperiode auf der Insel zurzeit der Rohstoff ausgegangen. Er ist versiegt. Man gibt hier der Bewässerung von Nadelbäumen entlang des Oberlaufes die Schuld daran. Sie wurden als schnell wachsendes Bauholz auf die Insel gebracht und entlang des Baches aufgeforstet. Wir schauen uns das Drama dann eine Woche später während unserer zweiten Radtour über das Hochplateau an.



Auf den Erfahrungen der ersten „Tour de Plateau“ aufbauend, organisieren wir uns diesmal eine Mitfahrgelegenheit für die besonders kräftezehrenden 800 Höhenmeter bis zum ersten Pass und erweitern so unseren Aktionsradius erheblich. Die sichere Strandung unserer überladenen Landeeinheit ist inzwischen beinahe Routine.



Nur eine Stunde später stehen wir bereits am Wendepunkt unserer vorherigen Tour und stellen uns mit noch frischen Kräften der sportlichen Streckenführung im Inselinneren.



Die Feierlichkeiten zum Jahreswechsel begehen wir dann sehr entspannt in der Bucht von Taiohea. Sie haben unterwegs nicht die Bedeutung wie zuhause. Den als Familientraditionen bezeichneten Riten fehlen hier zumeist die sozialen, meteorologischen, lokalen und kulinarischen Grundlagen. Kein Geschäftsjahr und keine Urlaubsplanung stören die Kontinuität des Seglerlebens. So endet nichts Bedeutsames an Silvester oder beginnt an Neujahr. Es gelten andere Meilensteine. Man trifft sich zur Feier des Tages -wie sonst auch so oft- ungezwungen zum „Podluck“ am Strand und verkostet bei teils haarsträubenden Geschichten gegenseitig Küchenreste. Die Anwohner schmücken ihre Häuser mit goldenen und silbernen Weihnachtsluftballons (alle mundgeblasen!) oder leider manchmal auch mit grell blinkenden Lichterketten. Über Allem thront die Statue der für ihren Redefluss bekannten Tiki-Frau. Sie wurde erst vor wenigen Monaten auf der Anhöhe des ehemaligen Fort Collet neu errichtet.





2018-02-17 Streifzüge

Nachdem die pazifische Wetteranomalie „El Nino“ in den letzten zwei Jahren mit höheren Wassertemperaturen besonders stark in Erscheinung trat und daraus folgender Sturm- und Niederschlagsneigung für entsprechenden Unmut sorgte, beglückt uns die diesjährige Gegenanomalie „La Nina“ mit einem ausgesprochen freundlichen und beständigen Sommerwetter auf den Nordmarquesas. Bergwandern, Schuhe kleben, Baden und Schiffspflege fügen sich in einen entspannten Rhythmus. Wir entdecken immer neue, im Dickicht verborgene Zugänge zu schmalen Pfaden durch schöne Täler und zu beeindruckenden Aussichten weit oben in den Bergen.



Neben den wenigen befestigten Straßen gibt es auf Nuku Hiva ein Netz an oft halsbrecherischen Naturpfaden für Transporte per Pferd. Mitunter verlieren sie sich im dichten Bodenbewuchs und wollen neu gefunden werden. Dabei sind alte Pferdehinterlassenschaften meist die einzigen Wegweiser. Wir lassen uns gern auf das Geländespiel ein und werden mit einsamen Wasserläufen, malerischen Felsformationen und herrlichen Aussichten belohnt.



Es ist kaum zu glauben, dass es so abgelegene Orte auf einer so kleinen Insel geben kann. Mitten im Urwald finden sich immer wieder von Pflanzen überwucherte Hausfundamente, die einst aus großen Felsbrocken aufgeschichtet wurden. Sie stammen aus einer Zeit, als auf den Marquesas noch geschätzte 60.000 Menschen lebten. Nach der „Entdeckung“ durch Seefahrer der „Alten Welt“ schrumpfte die Bevölkerung dank eingeschleppter Krankheiten, Alkoholismus und blutiger Stammesfehden auf etwa ein Sechstel. In der Folge verkleinerten sich auch die Siedlungen entlang der Küsten entsprechend und große Gebiete wurden einvernehmlich an die Natur zurückgegeben. Letztere ist in den Tropen sehr rasant und nachhaltig besitzergreifend.

Ein paar sehr schöne Tage verbrachten wir auch nochmal in Hakaui, der nach dem Mord an Stefan Ramin (2011) von der Bild-Zeitung als „Kannibalendorf“ bezeichneten und von der Außenwelt ziemlich isolierten Siedlung im Südwesten Nuku Hivas. Zwischen den gepflegten Häuschen der Handvoll Bewohner rosten hier in üppigen Obstgärten einige Autowracks vor sich hin, obwohl es nie eine Straße hierher gegeben hatte. Sie können einst nur per Boot in der Bucht angelandet worden sein um auf der wenige hundert Meter langen, unbefestigten Dorfstraße zu Repräsentationszwecken zu dienen. Am Fuße einer gewaltigen, dunklen Felswand im tiefsten Funkloch der Insel haftet dem Ort schon etwas Geheimnisvolles an. Wir erahnen einen Blick durch die Brille westlicher Boulevardblattredakteure, die hier sogar die Existenz eines abgeschiedenen Kanibalenstamms erkannten, als uns die beiden Brüder Teiki und Tonki breit aus ihren tätowierten Gesichtern anlächeln und drängen, doch unbedingt noch zum Essen zu bleiben.



Die Ausflüge unter die Meeresoberfläche können aufgrund der oft durch Sedimente einlaufender Flüsse stark eingeschränkten Sichtweiten unter Wasser nicht ganz so beeindrucken wie die Landgänge, führen aber mitunter ebenfalls zu unvergesslichen Rendezvous. So wird dem Skipper der Schreck vor dem plötzlich kurz vor ihm aus der trüben Brühe auftauchenden, weit aufgerissenen Maul eines vermutlich ebenso erschrockenen Mantas mit etwa zweieinhalb Metern Spannweite sicher noch lange in Erinnerung bleiben. Die riesigen Rochen sind glücklicherweise ausgesprochener sanftmütig und kaum gefährlich, …sagt man.



2018-03-03 Abschied von Nuku Hiva

Der tropische Sommer im Südpazifik neigt sich seinem Ende und die nächste Segelsaison steht vor der Tür. Mit dem Wartungsplan für PAPILLON liegen wir recht gut in der Zeit. Nur der immer schneller sprießende Bewuchs unter der Wasserlinie bereitet uns zunehmend Verdruss. Die notwendigen Intervalle für eine Spachtelrasur verkürzen sich inzwischen auf wenige Tage. Schnell ist der Entschluss gefasst, in der nächstgelegenen Werft das Unterwasserschiff mit wirksamen Werkzeugen von der Natur zurück zu erobern und eine Neubewaffnung mit lebensfeindlichen Anstrichen vorzunehmen. Eine hochoriginelle Idee, wenn man auf einem winzigen Brückenpfeiler im größten Ozean der Erde hockt! Unserer Entscheidungsfreude folgt ein langwieriger, kommunikationsreicher, spannender, teils aufreibender und nicht ganz billiger Beschaffungsprozess. Leider kann Unterwasserfarbe als „Gefahrgut“ auch nicht in die Luftfracht und muss, einmal ausfindig gemacht und erstanden, noch geduldig übers Meer geschippert werden. Ein Schiff wird kommen…, kam auch irgendwann und wir schleppen glücklich unsere Beute an Bord.

Der darauf folgende Abschied von Nuku Hiva fällt erwartungsgemäß schwer. Sowohl die Insel, als auch ihre unbeschwerten, kontaktfreudigen Bewohner sind uns in den vergangenen Monaten sehr ans Herz gewachsen.



Ihre lauten Begrüßungszeremonien für Kreuzfahrt- und Militärschiffe, mit viel Geschrei, Trommeln und Tröte haben etwas von Kindergeburtstag und wirken überaus liebenswürdig. Man grüßt sich gegenseitig wie auf dem Dorf bei uns zu Hause. Geschlechtszugehörigkeiten werden oft sehr unkonventionell ausgestaltet und scheinen ihrer Dichotomie seit Langem entwachsen zu sein. Auch die allgegenwärtige Hilfsbereitschaft ist bemerkenswert. Autofahrer boten uns allerorts Mitfahrgelegenheiten und junge Männer halfen ungefragt beim Wassertragen und wateten knietief im Meer um uns beim Beladen des Schlauchbootes zu helfen.



Wir erinnern uns nicht, hier während der vergangenen Monate jemals abweisend behandelt worden zu sein, außer vielleicht vom Zahnarzt, der mir sehr charmant die Reparatur einer angebrochenen Krone ausredete, weil er diese Arbeiten nicht mag und es auch noch nicht so dringend sei. Der nächste Kollege betreibt seine Praxis etwa 1200 km weiter westlich. Mal sehen, was er so mag!

Mit den ständigen Versorgungsengpässen haben wir auch kaum Probleme. Wir sind damit aufgewachsen, dass nicht ständig alles verfügbar ist und pflegen nun auch auf PAPILLON eine „sozialistische“ Vorratshaltung. Aber dafür haben wir jetzt staudenweise Bananen.

Etwas wehmütig ziehen wir den Anker aus dem Grund. Große Thunfische treiben die Sardinen in silbernen Wogen über die Bucht. Unser Ziel ist die kleine Werft auf Hiva Oa, in etwa 160 km hart am Wind.



2018-03-04 Urwalddusche

Auf unseren Trockenplatz müssen wir einige Tage warten und liegen so lange im trübbraunen Hafenwasser von Atuona. Neben uns wird der neue Anleger für die Versorgungsschiffe gebaut. Presslufthammer, Stromgenerator und periodische Staubwolken überzeugen uns zu täglichen, ausgedehnten Landgängen. So ist auch ein ursprünglich als kleiner Sonntagsspaziergang geplanter Ausflug in die Wildnis ohne nennenswerten Widerstand spontan zur erschöpfenden Wanderung mutiert. Glücklicherweise haben wir genug Wasser im Rucksack und somit einen ganz ordentlichen Aktionsradius. Nach etwa einer Stunde verliert sich der gewählte Waldweg im Dickicht und wir beschließen bereits, den Rückweg einzuschlagen. Da kommen uns zwei Insulaner entgegen, die sich mit der Machete ihren Weg durch den Dschungel bahnen. So weit abseits ausgeschilderter Touristenpfade hatten sie nicht mit rosaroten Menschen gerechnet und sind etwas irritiert. Ihre Frage, ob wir vielleicht den Wasserfall suchen würden, beantworten wir ehrlicherweise mit einem leichten Achselzucken. Wir wissen nichts von einem Wasserfall in dieser Gegend. Geduldig erklären sie uns ihre Wegmarkierungen aus Steinstapeln und ins Unterholz geschlagenen Kerben. Sie verabschieden sich freundlich und wir steigen wagemutig ins Dickicht. In einer weiteren Stunde Kletterei durch den Urwald verlieren, suchen und wiederentdecken wir immer wieder den markierten Pfad und stehen schließlich vor einem herrlichen Wasserfall, der aus etwa 40 Metern Höhe glitzernd zu uns herabregnet. Ringsum ist dichte Vegetation und kompensiert ausreichend die leider nicht eingepackte Badebekleidung. Das ausgespülte Becken ist tief genug zum Schwimmen und Stechinsekten machen sich erfreulich rar. Als nach längerer Beobachtung noch immer kein einziger Stein mit dem Wasser herabfällt, trauen wir uns dann auch den ganzen Pool zu nutzen und genießen das berauschende Gefühl der Urwalddusche.




Erfrischt geht es danach eine Stunde kletternd und eine weitere Stunde wandernd zurück zur PAPILLON. Der Sonntagabend verliert sich nach einem Stärkungsbier dann in mehr oder weniger schmerzhaften Erschöpfungszuständen.



2018-03-29 Stimmungsschwankungen

Einen kühlen Drink in der mit Pflastern übersäten Hand, strahlen wir geschunden, zufrieden und lösungsmittelbenebelt den frischen Unterwasseranstrich unserer aufgebockt an Land stehenden Yacht an. Fünf Tage Tortur voller Schweiß, Schleifstaub und Farbendüfte liegt mal wieder hinter uns. Die ausgesprochen freundlichen und hilfsbereiten Werftmitarbeiter nahen mit dem vollgummibereiften Trailer um PAPILLON über das unebene Gelände der noch im Aufbau befindlichen Werft zurück ins trübe Hafenwasser von Atuona zu rütteln. Gleich am folgenden Tag hieven wir Bug- und Heckanker schon wieder aus dem schwarzen, etwas faulig riechenden Schlammboden und nehmen Kurs auf die benachbarte Insel Tahuata um in ruhigen Buchten mit klarem Wasser das Trauma der vergangenen Arbeitstage zu therapieren und den tief sitzenden Schleifstaub auf ausgedehnten Schnorchelgängen gründlich aus unseren Poren zu spülen. Ein wirklich schöner Plan!

Nach kurzer Badefreude empfangen wir die Wetterprognosen für die nächsten Tage. Perfekt! Die Bedingungen versprechen für kurze Zeit sanftes Segeln auf ruhiger See. In vier sonnigen Tagen und vier monderleuchteten Nächten sollten wir mit angenehmer Brise das Raroia-Atoll im Tuamotu-Archipel ausgesprochen entspannt erreichen können und bei Halbmond/ Nipptide dort eintreffen. Die etwas gefürchteten Strömungen in der Passage des Ringatolls wären dann besonders gering. Das klingt nach Jackpot. In Sekunden wandelt sich Urlaubs- in Aufbruchsstimmung. Letzte Reisevorbereitungen, die gut und gerne einige Tage in Anspruch genommen hätten, müssen noch heute erledigt werden. Kurz vor Ladenschluss machen wir notwendige Einkäufe im Dorfladen. Im Wettlauf gegen die einbrechende Dunkelheit füllen wir per Kanister und Dingishuttle unsere Wassertanks aus der Leitung am Ufer wieder auf und machen das Schiff startklar. Den Rest des Abends verbringen wir dann im wohl für einige Wochen letzten verfügbaren WiFi-Netz: Zielinformationen einholen, Steuererklärung abschicken, Konversation,…

Am folgenden Morgen starten wir zu dem 800 km entfernten Tuamotu-Archipel. Noch etwas irritiert vom raschen Aufbruch genießen wir das hervorragende Segelwetter und ziehen unser erstes Ereigniskärtchen. Irgendwer hatte die mal erfunden, damit Spiele nicht langweilig werden. Katja zieht, hat Glück und entdeckt einen gewaltigen Blas und kurz darauf den verursachenden Wal neben PAPILLON auftauchen. Es gibt einige Euphorie im Cockpit und die Reise nimmt weiterhin ihren ruhigen Lauf. Am nächsten Tag ziert ein verlorener Sicherungsbolzen der Vorsegelrollanlage das fällige Ereigniskärtchen und führt nach einiger Aufregung, erfolgreicher Materialsuche und kreativer Montage auf dem Vorschiff zum genüsslichen Stolz des Improvisators. Dann noch ein weiteres Kärtchen mit einem größeren Squall, der uns plötzlich auf die Seite legt und für lange drei Stunden kräftig einweht und schon nähern wir uns dem Pass ins Raroia-Atoll. Die Flut strömt gerade mit 2-3 Knoten einwärts gegen den Wind. Die Durchfahrt brodelt, wirkt aber durchaus beherrschbar. Also, Segel runter, Motor an, schaukel, schaukel und wir sind drin.






2018-04-20 Herkunftsfragen

Innerhalb des Ringatolls herrschen Bedingungen wie auf einem Binnensee. Das umlaufende Riff schirmt die Bewegungen des Meeres vollständig ab. Auf der Einfallseite des Windes ist die Wasseroberfläche spiegelglatt. Mit jedem Kilometer, den der Wind darüber fegt, baut sich eine kurze, steile Welle immer höher auf. Die einzige Wohnsiedlung Raroias mit knapp 60 Einwohnern liegt an der ruppigeren Westseite der Lagune. Wir landen mit dem Dingi an, sind sofor t von fröhlichen Kindern umringt und werden überall ausgesprochen freundlich begrüßt. Für die geplante Überquerung der Lagune fragen wir nach navigatorischen Hinweisen. Neben unzähligen Korallenstöcken blockiert auch ein Labyrinth aus Perlfarmen die direkten Verkehrswege. Man gibt sehr gern Auskunft und bevor wir uns versehen, sitzen wir mit einem spendierten Bier am winzigen Flughafen und warten auf das „Fliegende Kanu“ von Air Tahiti Nui.

Ein Kartograf, der langfristig mit dem Vermessen der Lagune befasst ist, wird heute mit der wöchentlich verkehrenden Linienmaschine aus Tahiti zurückerwartet. Von ihm bekämen wir sicher das noch unveröffentlichte Kartenrohmaterial des Atolls. Die Ankunft verzögert sich und wir kennen bereits einen beträchtlichen Teil der Dorfbevölkerung und einige ausgewählte Lebensgeschichten als sich das Propellerflugzeug Stunden später im Anflug befindet. Ü;berstrahlt von diesem unterhaltsamen Nachmittag, fällt es später kaum ins Gewicht, dass die nun erhaltenen Seekartenfragmente leider nur eingeschränkt zur Navigation taugen.



Der nächste Morgen präsentiert sich mit strahlendem Sonnenschein. In hellen Farbtönen zeichnen sich die bis knapp unter die Wasseroberfläche reichenden Korallenstöcke gut sichtbar auf dem tiefblauen Meer ab. Wir nutzen die günstigen Sichtbedingungen und absolvieren den Riesenslalom zur Ostseite. PAPILLON ist die einzige Yacht in der Lagune. Vor der unbewohnten Inselkette, die sich wie eine Perlenschnur über das Riff zieht, bieten sich unzählige verwaiste Ankermöglichkeiten auf zig Kilometern Länge und erschweren uns die Auswahl. Mit dem Abstellen des Motors verstummt das letzte Zivilisationsgeräusch. In der Ferne rauscht leise die Brandung am Außenriff. Wir sind fasziniert von dieser Südseeidylle und werden auch noch einige Tage brauchen, unser Staunen in den Griff zu bekommen.



Eine kurze Dingifahrt von unserer Ankerposition entfernt strandeten Thor Heyerdahl und seine wagemutige Crew vor etwas mehr als 70 Jahren mit dem Balsaholzfloß KON-TIKI. Einhunderteinen Tag vorher waren sie von Peru aus aufgebrochen um die von den führenden Gelehrten ihrer Zeit bis dahin vehement bestrittene Möglichkeit der Besiedelung Polynesiens von Amerika aus zu beweisen. Mit Hilfe des Südostpassats und der Meeresströmungen sind sie mit dem kaum manövrierbaren Floß sicher hierher gereist, obwohl alle „Fachleute“ die Seetüchtigkeit der KONTIKI arg in Zweifel zogen. Nach einigen Kontakten mit selbstzweifelbefreit überzeugten Eignern von Aluminiumund Langkielbooten haben wir als Besitzer einer Großserienyacht eine lebhafte Vorstellung von den Gesprächsverläufen. Die technische Möglichkeit der Besiedelung von Ost nach West war nun nicht länger von der Hand zu weisen. Man geht aber nach der Interpretation genetischer Untersuchungen weiterhin davon aus, dass die Polynesier aus Asien stammen und sich gegen Wind und trömung hierher vorkämpften. Auf ein Gegenexperiment zur Kon-Tiki-Expedition, mit einem asiatischen Wasserfahrzeug jener Zeit gegen die Elemente ostwärts bis Fidschi, Tonga oder gar zu den Tuamotus aufzukreuzen, wartet die Welt jedoch noch immer vergeblich. Die späteren europäischen „Entdeckungsreisen“ hierher erfolgten übrigens ebenfalls mit Wind und Strömung von Ost nach West. Endgültig wird sich die Herkunft der polynesischen Ureinwohner vermutlich niemals klären lassen.



2018-05-10 Robinsonade

Das Nahrungsangebot in der Augenweide der einsamen Lagune ist sehr begrenzt. Riff-Fisch ist uns wegen der Ciguatoxine zu riskant. Den haben wir noch nicht gewagt, obwohl man uns im Dorf versicherte, die Fische vom östlichen Riffsaum seien unbedenklich. Das gelte aber auch nur, sofern sich die Fliegen sofort darauf stürzen würden. Ansonsten sollten wir sie lieber doch nicht essen. Nach solchen heidnischen Regeln wird im Dorf tatsächlich reichlich Fisch konsumiert und zumeist auch ganz gut vertragen. Die unglücklichen Ausnahmen jedoch behalten oftmals gesundheitliche Probleme nach einem Missgriff bis an das Ende ihrer T age. Ciquatoxine werden vom Körper nicht wieder ausgeschieden. Angebot und Qualität bei Obst und Gemüse hängt vom Intervall der Versorgungsschiffe ab. Im Atoll selbst wird kaum etwas angebaut. Überfluss gibt es dagegen nur an Kokosnüssen. Damit dominieren Kokossoßen, Kokoskuchen, Kokosbrötchen und Kokosweißnichtwas die Bordküche auf PAPILLON. Sollten wir eine Allergie dagegen entwickeln, wären wir vermutlich verloren.

Allerdings haben wir auch schon zweimal überreife Brotfrüchte im Feuer am Strand gebacken. Die Brotfrüchte samt Kochanweisung gab es gratis von fülligen Damen im Dorf. Bisher haben wir die immer gemieden, sobald sie süß und weich geworden sind – also die Brotfrüchte. Süß gegammelte Brotfrucht wird beim Garen auch wieder fest und ist mit viel frischer Kokosmilch übergossen ein Fest für Südseegourmets. Zumindest empfinden wir Zwei das nach einigen Wochen Raroia-Diät so.

Der Wind hat seit ein paar Tagen Pause und wir liegen wie auf einem Dorfteich. Außer der gedämpft dröhnenden Brandung am Außenriff und etwas entferntem Vogelgekrächze ist totale Stille um uns. Durch die spiegelglatte Wasseroberfläche sehen wir die Korallenstöcke am Meeresboden in 11m Tiefe, jede Menge kleine bunte Fische und viel zu viele Haie. Die bis zu zwei Meter langen Schwarzspitzenhaie zeigen einzeln meist wenig Interesse an uns. In der Meute hatten wir sie jedoch im Nordosten des Atolls auch schon beängstigend aufdringlich erlebt. Auf jeder Dingifahrt wurden wir dort von einer ganzen Gang bis zum Strand eskortiert. Unsere Anlegemanöver erreichten schon bald eine Schnelligkeit und Präzision, die wir kaum für möglich gehalten hätten.




Inzwischen haben wir an der 40 km langen, geschützten Ostseite der Lagune unseren persönlichen Lieblingsplatz gefunden und bezogen. Auf einem der unzähligen Trauminselchen räumen wir nach und nach ein paar Äste, alte Kokosnüsse und spitze Steine beiseite und lassen so einen schmalen Pfad im unwegsamen Gelände entstehen. Strandgut arrangieren wir zu Sitzgelegenheiten und einer Schaukel.



Mit den Tagen schließt sich der etwa 600m lange Rundweg um die Insel und verleitet den Skipper zum regelmäßigen Lauftraining. Mit einigen Morgenrunden im persönlichen Südseestadion, ein paar Arbeiten an Bord und den üblichen Mahlzeiten behalten die Tage Struktur . Oft klettern wir auch über die spitzen Korallen hinter den Inseln bis zum Außenriff und beobachten die Muränen, die sich hier in großer Zahl durch das flache Wasser schlängeln. Etwas Vorsicht ist geboten, da ihr Biss aufgrund fehlender Zahnhygiene hochbakteriell und daher nicht ganz ungefährlich ist.



2018-06-18 Traumwelten

Alle drei bis vier Wochen segeln wir quer über die Lagune nach Garumaoa. Es ist das einzige Dorf im Raroia-Atoll und um Einiges kleiner, als sein sperriger Name zunächst vermuten lässt. Mit stolzen Margen auf das ohnehin schmerzhafte Preisniveau Französisch Polynesiens überleben hier immerhin zwei Lebensmittelgeschäfte. Mit jedem Tag, der seit dem letzten Besuch eines Versorgungsschiffes vergangen ist, dominieren die hölzernen Regalböden zusehends das Erscheinungsbild der beiden winzigen Läden. Inzwischen haben wir einschneidende Erfahrungen mit der hohlen Resonanz leerer Verkaufsräume und informieren uns bereits vor Antritt der etwa 30 km langen Einkaufstour über die erwarteten Lieferzeiten. Bepackt mit einem Monatsproviant an frischen Lebensmitteln und immer neuen Rezeptvorschlägen der freundlichen Dorfbewohner für eine ökologische und vor allem ökonomische Selbstversorgung aus der Natur verlegen wir uns schon bald zurück in unsere türkis-blaue Abgeschiedenheit am östlichen Riffsaum. Neben geschmacksintensivem wilden Rucola, der hier auf den unbewohnten Inseln wächst, finden dank fachlicher Unterweisung im Dorf nun auch leckere Palmendieb-Krebse ihren Weg auf unsere Spaghetti oder Pizza.

Nur selten unterbrechen andere Segler für wenige Tage unsere stille Zweisamkeit. Raroia liegt etwa 400 km abseits des direkten Weges zwischen den Marquesas und Tahiti. Daher wird das Atoll von den durchreisenden Yachten weit weniger heimgesucht, als die westlichen Tuamotus. Wir freuen uns über die Gelegenheiten zu interessanten Gesprächen und tauschen unsere Geschichten, Erfahrungen, Bücher und Bordrezepte untereinander. Heute waren wir zu Gast auf der MOYA. Bei guter Unterhaltung mit der Familiencrew ist es inzwischen Nacht geworden. Unter einem atemberaubenden Sternenhimmel ziehen wir mit dem Schlauchboot eine bescheidene Heckwelle durch die glatte, schwarze See in der Lagune. Am Spiegel schnurrt leise der Außenbordmotor. Etwa einen Kilometer entfernt glimmt das Ankerlicht der PAPILLON. Die Seeluft ist angenehm warm. Sie riecht nach Riff, Südseeblüten und einem Hauch von Zweitaktgemisch.

Kurze Zeit später ankern wir wieder allein auf weiter Flur. Bei strahlendem Sonnenschein laden unzählige Korallenstöcke im Aktionsradius zu spektakulären Schnorchelgängen ein. Einzelne Haie schwimmen geruhsam Patrouille, während tausende knallbunter Fische sich munter um bizarre Steinformationen jagen. Wie schnell sind doch Zeit, To-Do-Liste und manchmal sogar das Atmen beim Anblick dieser Unterwasser-Traumwelt vergessen! Doch auch beim Ambiente über der Wasseroberfläche erinnern vor Allem die auf dem Meer angereisten Plastikabfälle daran, dass der Ort tatsächlich irdisch ist. Zweifellos hatte die Natur hier maßlos übertrieben.




Unsere schwachen Aufbruch-Impulse werden bereits im Keim vom Charme der Gegend erstickt. Wir haben keine Termine und leben im Jetzt.

Ein Dorfbewohner erzählte uns kürzlich mit glühender Begeisterung von seiner Deutschlandreise. Traumhaft sei es gewesen, mit Vollgas im Mietwagen auf der Überholspur der Autobahn, das sei wie Musik, wie die Trommeln beim Traditionstanz… Na ja, das Glück trägt tausend Masken.






2018-07-14 Alter Schwede

Vom Wirbel um die Fußball-WM bekommen wir hier nur wenig mit. Die Einladung vor eines der drei Fernsehgeräte in Garumaoa, also Public Viewing auf polynesisch, schlagen wir aus, weil die Wetterprognosen gerade keine Übernachtung auf den unruhigen Ankergründen vor dem Dorf empfehlen. Wir haben nur kurz die Atoll-Seite gewechselt um unsere Post abzuholen. Per Mail wurden wir von der freundlichen Office-Dame informiert, dass unser erwarteter Brief mit den neuen Kreditkarten aus Deutschland gerade eingetroffen sei. Nach weniger als drei Wochen Versandzeit halten wir ihn nun glücklich in den Händen, freudestrahlend, auf diesem winzigen Sandfleck mitten im endlosen Blau des Pazifiks. Nun fehlt nur noch ein funktionstüchtiger Geldautomat zur Liquidität. Bevor wir wieder ablegen und in die Abgeschiedenheit der unbewohnten Inseln verschwinden, bunkern wir noch reichlich Trinkwasser aus der kommunalen Filteranlage.

Lena und Mikael aus Schweden, die mit ihrer BAVARIA-Serienyacht ganz ohne Kielverlust Kap Horn umsegelt haben, gehen ein paar Tage später in unserer Nähe vor Anker. Glücklicherweise verspüren sie keinen Bedarf auf Nachbesprechung des WM-Spiels unserer Nationalmannschaften und zeigen sich zu praktizierter Einigkeit bereit. Wir erzählen uns unglaubliche Geschichten, beklagen lauthals die enormen Alkoholpreise in Polynesien und brauen schließlich aus Zucker, Hefe, Limetten und dem gerade frisch gebunkerten Trinkwasser unseren eigenen Stoff.

Längst liegen wir wieder ganz allein im Atoll, als in einiger Entfernung ein großes Frachtschiff direkt am Außenriff auftaucht, zwei Tage dort herumsteht und schließlich quer zu seiner Längsachse an der gegenüberliegenden Seite Raroias entlangschwimmt. Nach einem zweifelnden Blick auf die geöffnete Flasche mit dem Bordstoff, den wir inzwischen „Alter Schwede“ tauften, beginnen wir dann doch, über den scheuen Internetzugang, der sich in den Abendstunden zart über die Lagune legt, sehr geduldig nach einer Erklärung für unsere Sinneseindrücke zu suchen.

Das 131 Meter lange philippinische Frachtschiff „Thorco Lineage“ war nach einem Maschinenschaden manövrierunfähig auf dem Riff gestrandet. Es konnte nach zwei Tagen von der französischen Marine freigeschleppt werden und ging nach dem Bruch der Schlepptrosse erneut auf Drift. Aus Tahiti angeforderte Schlepper sollen es dann Tage später wieder einfangen und nach Papeete bringen.

Bis zum Südsommer und der Gefahr von Wirbelstürmen bleiben uns hier noch einige Monate Zeit. Die vorherrschenden Winde drehen aber in der Regel schon lange vorher auf Nordost, was uns die geplante Rückkehr zum Marquesas-Archipel dann deutlich erschweren würde. Wir beginnen also bereits sehr zaghaft nach einem unwiderstehlichen Wetterfenster für die 800 km Seestrecke Ausschau zu halten. Im Dorf versucht man uns zwar zum Bleiben zu ermutigen und versichert treuherzig das ausgesprochen geringe Wirbelsturmrisiko dieser Gegend. Ein Blick auf die Architektur lässt allerdings schon den Zweifel nagen.



Da werden Dächer mit Drahtseilen im Boden verankert, Fenster sind nur aufgemalt…

Vor September besteht noch kein Grund zur Eile. Präsentiert sich der Pazifik ausgesprochen charmant, brechen wir auf. Bis dahin werden wir auf unserer einsamen Insel noch etwas Robi und Freitag spielen, mit gelegentlichem Rollentausch selbstverständlich.



2018-08-30 Anspruchsvolles Segeln

Innerhalb der nächsten fünf Wochen gibt es am angebotenen Segelwetter immer reichlich herumzumäkeln und genügend Gründe, Einwände und Vorwände, den Anker noch nicht aus dem weißen Korallensand zu ziehen. Unser Ziel liegt etwa in derselben Richtung, aus der meistens auch Wind und Wellen kommen. Sind da der Windwinkel zu spitz, der Wind zu stark oder die Wellen zu hoch wird aus Segelspaß schnell Heldentum im Kampf gegen die Elemente. Entsprechend hoch sind unsere Ansprüche an Wohlfühl-Segelbedingungen. Auch das ist „anspruchsvolles Segeln“. Außerdem ist es ja auch wirklich schön in Raroia, traumhaft schön.



Während sich die meteorologischen Daten mühsam zu einer passenden Melange zusammensuchen, begeben wir uns weiter auf ausgedehnte Streifzüge über die umliegenden Inseln. Eine Allianz aus Zeit und weiblicher Sammelleidenschaft bescheren uns einen beständig anschwellenden Schatz an exotischen Schneckengehäusen. Den Verlockungen der wie frisch lackiert in der Sonne glänzenden sterblichen Überresten maritimer Weichtiere kann Frau nur schwer widerstehen. Thema wird das begrenzte Fassungsvermögen unserer Achterkajüte aber spätestens dann, als wir diesen gewaltigen Schädelknochen eines Wals entdecken.



Beinahe unbeachtet formen sich die Wetterprognosen in der Zwischenzeit zu einem „Wetterfenster“, unterbreiten also ein Kompromissangebot innerhalb unseres Toleranzbereichs. Plötzlich geht alles sehr schnell. Das muss es auch. Seltene Wetterfenster sind von Natur aus äußerst vergänglich. An Bord der PAPILLON herrscht rege Betriebsamkeit. Bis weit in die Nacht hinein wird verstaut, festgezurrt und vorgekocht. Am nächsten Tag steht noch ein Abschiedsbesuch bei den Freunden im Dorf an. Wir lieben diesen Ort. Die wenigen hundert Meter befestigter Straße sind ein Fahrradparcours für die Kinder, die hier über die Hälfte der Einwohner zu stellen scheinen. Naht ein Flugzeug oder Versorgungsschiff kommt das moderne Feuerwehrauto zum Einsatz, auch ohne weiteren Kraftverkehr natürlich immer mit Sondersignal. Die Zeugnisübergabe vor den Ferien auf dem zentralen Platz wird von den Trommlern des Dorfes rhythmisch begleitet. Eltern bieten kleine Tanzeinlagen. Spontan entsteht ein fröhliches Fest, dass der westliche Hollywood-Konsument akustisch aus der Ferne vielleicht vorschnell mit dem Gedanken an einen übergroßen Suppentopf assoziieren würde. Beim Näherkommen trifft man dann jedoch nicht auf die düsteren Blicke bemalter Krieger sondern freundliches Lächeln von Menschen mit einer Blüte hinter dem Ohr. Ihren Medizinmann, der die kommunale Praxis im Gemeindehaus betreut, nennen sie verschmitzt Frankenstein, sind jedoch ansonsten sehr weltoffen.

Im Morgengrauen tuckern wir nach knapp sechs Monaten im Atoll wieder durch den Pass hinaus auf den offenen Pazifik. Wind und Seegang halten sich zunächst noch nicht wirklich an die meteorologischen Heilsversprechen. Es bläst uns direkt auf die Nase und kurze, steile Wellen bremsen unsere Fahrt immer wieder bis fast zum Stillstand ab. Der Captain entscheidet sich schließlich für einen Kurswechsel und nimmt einige Meilen Umweg für ein angenehmeres Segeln in Kauf. Aus der Koje der bereits leicht blassgrün angelaufenen Crew ist keinerlei Widerspruch zu vernehmen. Im Laufe der nächsten Stunden stellen sich die versprochenen Bedingungen tatsächlich ein. Wir gehen Grad für Grad auf unseren eigentlichen Kurs zurück und genießen die restlichen drei Tage der Überfahrt. Die Kommunikation an Bord läuft langsam wieder an. Appetit stellt sich ein. Hinter uns folgt ungünstiges Wetter und mahnt, nicht zu trödeln. Trotz anfänglichem Umweg kommen wir aber gut voran und erreichen Tahuata im Marquesas-Archipel einen halben Tag eher als geplant, so gegen Mitternacht. Im Mondlicht tasten wir uns in die Bucht von Vaitahu. Wir sind allein dort und haben leichtes Spiel bei unserem nächtlichen Ankermanöver.



2018-09-22 Marquesasfeeling

Weit oben in den Bergen faucht leise der Wind, stürzt sich von Zeit zu Zeit mit bedrohlichem Heulen die steilen Berghänge herab und mischt den nächtlichen Ankerplatz auf. Die Entlastungsleine unserer Ankerwinsch am Bug spannt sich mit stetig anschwellenden Tönen. Kammerton für Kammerton knarzt sie sich durch die Oktave. In Erwartung des finalen Knalls zerberstenden Gewebes kneifen wir bereits die Augen zusammen. Dann ist der Windstoß vorüber. Die Leine entlastet und unsere Mimik entspannt sich wieder. Entwarnung gibt es allerdings noch nicht. Bis zum Sonnenaufgang liegen noch einige Dutzend dieser Spannungszyklen vor uns. Gewaltige Berge auf dafür scheinbar viel zu kleinen Inseln sehen sehr beeindruckend aus, decken aber auch nachts die sich dicht an die Täler schmiegenden Ankerbuchten mit nicht weniger beeindruckenden Fallböen ein. Unsere neue Ankerkette, die wir uns von einem Schiffsausrüster aus Tahiti nach Raroia liefern ließen, darf nun zeigen, was sie Wert ist.

Am nächsten Tag bergen wir die Wanderschuhe aus der Backskiste. Für sie gab es während der letzten sechs Monate im flachen Atoll keine Verwendung. Entsprechend tief müssen wir für ein Wiedersehen graben. Wenig später erreichen wir mit dem Dingi die kleine Betonpier. Die sanft in die Bucht laufende Dünung hebt und senkt uns um bis zu einem Meter vor der schroffen Betonwand. Unsere einst erprobte Landungstechnik wirkt zunächst noch etwas unbeholfen, findet aber mit der Zeit zu ihrer alten Eleganz zurück. Während der nächsten Wochen klettern wir auf steilen Pfaden und genießen herrliche Aussichten über die grüne Insel, die uns im Kontrast zu den flachen Motus in Raroia nun doch schon etwas überladen erscheint. Unsere Obstnetze füllen sich zusehends. Pampelmusen, Mandarinen, Bananen, Mangos, Zitronen und auch die eine oder andere Papaya wird uns über den Zaun gereicht oder zählt zu den fruchtigen Fundstücken auf unseren Bergtouren. Bis sich wieder ein ausreichender Trainingszustand eingestellt hat, fallen wir abends völlig erschöpft in die Kissen und pflegen die schmerzhaften Spuren unserer Kletterei.



Vini, der lokale Mobilfunkbetreiber, zeigt sich in Vaitahu gerade sehr spendabel und stellt den ansonsten teuren WLAN-Hotspot kostenlos zur Verfügung. Vom kleinen Postgebäude aus wird auch der Ankerplatz mit dem begehrten Signal bestrahlt, was uns sogar von Bord aus eine zarte Verbindung mit der Außenwelt ermöglicht. Im nächsten Jahr soll die Übertragungsgeschwindigkeiten dann auch deutlich steigen. Ein neues Unterwasserkabel wird in Betrieb genommen und ersetzt die aktuell langsame Übertragung via Satellit. Dann werden wir nicht nur schneller, sondern sogar bei Regenwetter mailen können, Wahnsinn!

Manchmal entfliehen wir den nächtlichen Fallböen für ein paar Tage und ankern in Hanamoenoa, einer ruhigen Bucht mit weißem Sandstrand aber leider ohne weiteren Landzugang. Das Wasser ist klar und macht Lust auf maritimen Ausgleichssport. Ein kleiner Mantarochen fliegt immer wieder unter Papillon hindurch. Schließlich nehmen wir seine Freundschaftsanfrage an, greifen zur Schnorchelausrüstung und steigen die Badeleiter hinab. Er weicht uns kaum von der Seite, nimmt immer wieder Kurs auf uns Zwei und präsentiert seine Unterwasserflugkünste. Als wir irgendwann zurück an Bord klettern, steckt er neuen Kurs auf den nächsten Ankerlieger und probiert dort sein Glück auf der Suche nach neuen Spielgefährten.

Unser Ankernachbar ist leidenschaftlicher Taucher. Er findet, wir sollten die Schnorcheltiefe unbedingt mal unterschreiten und bereitet uns nach individuellem Grundlehrgang ein eindrucksvolles Taucherlebnis am 8-12m tiefen Riff. Für Notfälle oder kleine Unterwasserreparaturen haben wir auch selbst eine winzige Tauchflasche und preisgünstiges Equipment an Bord. Mit einem richtig guten Tauchjackett in austarierter Tiefe über den Grund zu schweben und der fetten Muräne auf gleicher Höhe in die Augen zu schauen, ist dann aber doch schon ein ganz anderes Erlebnis.



2018-10-24 Freie Interpretation

Bevor Wind und Wellen über den Südsommer hier wieder auf Nordost drehen und die Ankerbuchten der Nordküsten ungemütlich machen, möchten wir unbedingt noch etwas Zeit in Anaho verbringen. Die tief in die Insel Nuku Hiva einschneidende Bucht mit einer Handvoll freundlicher Bewohner zählt zu unseren Lieblingsplätzen im Marquesas-Archipel. Also setzen wir die Segel und nehmen Nuku Hiva vor den Bug.

Zunächst kommen wir jedoch am Hauptort Taiohae nicht vorbei. Wir benötigen einige Werkzeuge und Ersatzteile für das Schiff und planen einen Import aus Deutschland, das ultimative Behörden-Abenteuer also. Das will vorab ein bisschen organisiert sein. Außerdem müssen wir uns auf die Warteliste des Segelmachers setzen lassen und der will auch erst mal begutachten, bevor er vage terminiert. Ein Besuch der Hauptstadt ist also unausweichlich. Unser Empfang in Taiohae gestaltet sich herzlich und überwältigend. Am Ufer wird euphorisch getrommelt, knapp kostümierte Frauen tanzen, singen, rufen und winken. Was für eine Freude! Die Menge tobt. Wir genießen die fröhliche Begrüßungszeremonie nicht ohne Stolz und werden dabei von einem riesigen Arbeitsschiff verfolgt, dass zeitgleich mit unserer Rückkehr das neue Überseekabel aus Tahiti zum Ufer zieht.

Einige Tage später brechen wir dann endlich zu unserem Sehnsuchtsort Anaho auf. Eine südliche Dünung läuft sanft in die Bucht von Taiohae und lässt die verankerten Schiffe lange und kräftig mit den Masten winken. Wir winken zurück und schnurren mangels Wind mit fossiler Energie davon. Vor der senkrecht aus dem Meer steigenden Felswand entlang der Ostküste Nuku Hivas treffen wir auf eine riesige Schule 3-4 Meter langer Wale. Um die einhundert Tiere treiben regungslos an der Oberfläche. Eine kleine Eskorte begleitet PAPILLON agil durch die schlafende Menge und räumt eine schmale Schneise durch die trägen Massen. Nach Verlassen des maritimen Schlafsaals drehen unsere Begleiter dann nach und nach ab. Der letzte zieht einen langen braunen Schweif hinter sich her. Wir deuten die Nachricht mal wohlwollend.



Einen Tag später unternehmen wir die erste Wanderung von Anaho über den Berg zum Nachbarort Hatiheu. Der Blick vom Pass über die Bucht ist einfach grandios und kann sogar später auf dem strapaziösen Rückweg mit einem kühlen Bier aus dem Rucksack noch aufgewertet werden.





2018-12-07 Jedem seine kleine Freude

Einmal im Jahr veranstaltet der kleine Ort Hatiheu unter Yvonnes Regie ein Fest für die Passagiere des französischen Kreuzfahrtschiffs BOREAL.





Yvonne, eine betagte Laden- und Restaurantbesitzerin war jahrelang Bürgermeisterin der Gemeinde und gibt nun eine Dorfälteste wie aus dem DEFA-Studio: erhaben, gütig, freundlich und gebrechlich. Die Performance der lokalen Künstler begeistert mit Musik, Tanz und Bildhauerei auf erstaunlichem Niveau. Auch das Ambiente des rituellen Platzes im Wald etwas oberhalb der Bucht ist grandios. Am Ende wird das traditionelle Buffet aus dem Erdofen vom kulinarisch orientierten Klientel des Tourismuskreuzers als Höhepunkt gefeiert. Nach einem kurzen Blitzlichtgewitter über gebackenem Schwein, dampfender Brotfrucht und roter Banane, die appetitlich auf geflochtenen Palmwedeln angerichtet wurden, bildet sich in Sekunden eine erwartungsfrohe Menschenschlange. Trotz leichtem Gedränge beim Überladen der Plastikteller scheint alles soweit geordnet. Das Servicepersonal der BOREAL behält die Übersicht, kanalisiert die Menge und schützt die Nahrung vor unbefugtem Zugriff. Wir Zaungäste sitzen zu dieser Zeit bereits etwas abseits vor einer üppigen Kostprobe, die Ivonne mit besten Grüßen an uns fehlgeleitet hatte, genießen das Festessen und das gebotene Schauspiel gleichermaßen.

Das Wasser in der Bucht von Anaho ist zu dieser Jahreszeit spiegelglatt und die Ruhe im Schiff gibt uns Gelegenheit zu aufgeschobenen Wartungsarbeiten.



Gleichzeitig lockt eine beschauliche Umgebung in die Wanderschuhe und eine einmalige Unterwasserwelt drängt zum Abtauchen. Hier wird wegen des Befalls mit Ciguatoxinen seit Jahrzehnten so gut wie nicht mehr gefischt. Im Ergebnis tummeln sich im strandnahen Riff artenreich Fische in beachtlicher Größe. Der Anblick begeistert. Es wären inzwischen auch einige Arten wieder zurückgekehrt, die bereits vor Jahren die Buchten Nuku Hivas verlassen hatten, erfahren wir von einem der Dorfbewohner. Ciguatera leistet offensichtlich hervorragende Dienste im Sinne des Artenschutzes. Da kommt der verzweifelte Kampf um Meeresschutzzonen nicht ganz hinterher. Während die Fische selbst nicht unter dem Gift leiden, sind die Symptome bei uns verzehrenden Landsäugern grässlich. Muskelschmerzen und Schluckbeschwerden sollen wochenlang anhalten. Die letzten paar Meeresschildkröten schöpfen bereits neue Hoffnung und auch manch geschundene Kreatur aus der Massentierhaltung beginnt nachts bunt zu träumen.

Inzwischen liegt unser Ersatzteilpaket aus Deutschland beim Zoll in Tahiti. Theoretisch ist der Import aus der EU hier kein Problem. Sobald das Paket am Zoll angekommen ist, nehmen die Kontakt auf. Man versorgt daraufhin einen Zollagenten seines Vertrauens mit Fotokopien der angeforderten Dokumente und beauftragt ihn mit der Abwicklung, zahlt unverschämte Gebühren und bekommt die Sendung zum Postamt seiner Wahl weitergeleitet. In der realen Welt vergisst der Versandhändler SVB in Bremen die Telefonnummer für den Zollbeamten im Zielland, die er zwar obligatorisch zur Versandadresse erfragt, dann auch tatsächlich mit auf das Paket zu schreiben und verstümmelt die angegebene E-Mail-Adresse bis zur Unkenntlichkeit. Die später mit der Überweisung der Gebühren beauftragte, lächelnde Schönheit im Südseepostamt verdreht die Zahlen der Kontonummer des Agenten und verschickt unseren Stapel Geldscheine versehentlich ins Nirgendwo. Stundenlang sitzen wir am Rechner, raufen uns die Haare, hämmern immer wieder mit der Stirn auf die Tastatur. Endlich bekommen wir die ersehnte Nachricht des Zollagenten vom Google-Übersetzer verdeutscht: „Nach Bestätigung unseres Buchhaltungsdienstes validieren Sie die Erklärung und beauftragt die Position, die Ihr Paket zum Ziel macht. Nach dem Beitrag werden die Pakete mit dem Boot in den Inseln versendet. “ Aufatmen! Das Boot wird dann allerdings noch knapp zwei Wochen brauchen, alles in den Inseln zu versenden. Schließlich wartet ein wegen gehobener Verpackungsunkunst in sich zusammengesacktes, notdürftig verklebtes Versandstück traurig auf seine Abholung. Es scheint während der letzten Wochen ähnlich viel durchgemacht zu haben, wie wir. Nach einer letzten Unterschrift schließen wir es endlich in unsere Arme.



2019-08-14 Fluchtreflex

In diesem Jahr füllen sich die Ankerplätze um Nuku Hiva bereits im Januar spürbar und nachhaltig mit segelnden Pazifik-Passanten. Dort, wo wir ein Jahr zuvor noch ganz einsam unsere Schwojekreise um das Grundeisen drehten, drängt sich nun ein gutes Dutzend Yachten. Vor dem Hauptort Taiohae winken sogar mehr als 80 Masten im Takt der einlaufenden Dünung. Die Beschaulichkeit der Ankerbuchten wird zunehmend von belästigenden Begleiterscheinungen hektischer Betriebsamkeit überlagert. Nach den offensichtlich beruhigenden ENSO-Daten (El Niño-Southern Oscillation) der letzten Monate haben sich viele Segler sehr zeitig von Amerika aus auf den Weg über den Pazifik begeben und beleben nun den Marquesas-Archipel. Mit einem wachsamen Auge auf die Wetterprognosen und einem Notfallplan für den nach aktuellen Wassertemperaturen, Passat und Südäquatorialstrom wenig wahrscheinlichen Wirbelsturm hieven wir den Anker und ziehen Leine.
Knapp vier Tage, einen Gewittersturm, einen gebrochenen Schäkel am Großsegel und eine im Kampf gegen den zu großen Tunfisch zerborstene Angelrute später treiben wir beigedreht in der Dunkelheit vor dem Pass ins Raroia-Atoll. Für die letzten Meilen durch den Pass und die mit Korallenköpfen gespickte Lagune warten wir noch auf Tageslicht. Im letzten Jahr hatten wir am einsamen östlichen Riffsaum fast sechs Monate lang unseren persönlichen Südseetraum türkisblauer Abgeschiedenheit wahr werden lassen. Während sich die Sonne langsam aus dem Meer erhebt, steigt auch unsere Vorfreude auf die Wochen, die nun vor uns liegen.
Papillon ankert wieder im weißen Sand vor „unserer“ Insel. Tatsächlich ist das Eiland unter staatlicher Verwaltung, wie übrigens die allermeisten Motus hier in Raroia. Wer sie für sich allein beanspruchen möchte, kann einen Pachtvertrag über neun Jahre mit der Regierung schließen, fortan alle Fremden vertreiben und ihr als erster Landgraf auch den Namen verleihen, unter dem sie auf künftigen Karten verzeichnet sein soll. Wir wissen von einem französischen Paar und einem Litauer, die sich neben den privaten Perlfarmen ein Motu in der Nähe des Dorfes auf der gegenüberliegenden Seite der Lagune geleistet haben um eine überschaubare Immobilieninvestition in den eigenen Korallensand setzen zu können.




Die Muring für unser Dinghi, die wir uns im letzten Jahr gebastelt hatten, die zur Schaukel umfunktionierte Riesenboje, die am Ostersonntag angespült wurde, unsere Joggingstrecke und auch die Feuerstelle, an der wir unseren selbstgepökelten Schinken räucherten, sind während unserer Abwesenheit unberührt geblieben.



2019-08-17 Schatzsuche

Mit ein paar Handgriffen ist alles wieder wie gewohnt arrangiert. Die Bestände an Austern und Mördermuscheln zwischen den Korallen im seichten Wasser um die Insel haben sich von unseren sporadischen Entnahmen der letzten Saison bestens erholt und auch die Palmendiebkrebse verharren wieder sehr zahlreich in ihren Verstecken. Einige Exemplare sind unserem Kochtopf inzwischen beinahe entwachsen. Beinahe!



Weit abseits von stinkenden Abgasen und dem Lärm der Welt lässt es sich hier gut aushalten. Die Tage ziehen sehr gemächlich über das Riff, an einem Ort, bis zu dem das anhaltende Gedudel der Zivilisation nicht vorzudringen vermag. Bis auf kurze Unterbrechungen liegen wir hier ganz allein im Sichtradius. Ein leises Rauschen kommt vom Riff und ein paar Vögel durchbrechen die Stille. Im kristallklaren Wasser neben unserer schattigen Sitzecke tummeln sich bunte Fische und zwei kleine Oktopusse präsentieren täglich ihre Magic-Show, passen sich in Farbe und Form auf verblüffende Weise wechselnder Hintergründe an. Sie tarnen sich als grauer Stein oder farbige Koralle. Fasziniert schauen wir ihnen zu, während wir mit großem Aufwand Kokosnüsse, wilde Rauke, Krebse und die eine oder andere Muschel mit Reis, Mehl und Nudeln in geschmackvolle Nahrung verwandeln. Das Leben erhält in der Natur einen anderen Rhythmus, mit mehr Genuss und meistens auch mehr Nachhaltigkeit.
Eines Tages tastet sich ein dicker Katamaran mit einer dreiköpfigen Familiencrew an Bord durch den Korallenparcours der Lagune. Am Heck flattert die riesige Nationale einer winzigen Steueroase des britischen Empire. Sie kommen auf ein schnelles Selfi am Kon-Tiki-Denkmal für das Familienalbum und stecken zunächst Kurs auf PAPILLON, das ansonsten einzige Schiff weit und breit. Der Anker fällt in unmittelbarer Nähe und Papa kommt mit einem 25 PS-Motor am Dinghi die wenigen Meter zu uns herüber gebrummt um Erkundigungen einzuholen. Er hätte die Fenua Kon-Tiki ja viel weiter nördlich verortet. Wir bestätigen seine Koordinaten und geraten sogleich wegen unseres abgelegenen Ankerplatzes in Verdacht, vielleicht etwas noch Bedeutenderes als das Kon-Tiki-Denkmal hier zu verbergen. Die Familie bricht zunächst zum Shooting zu Heyerdahls entferntem Strandungsort auf, ist dank starker Motorisierung auch schon sehr bald wieder zurück und begibt sich mit Schnorchel und Tauchermaske auf Schatzsuche. Mama, deren anmutige und auch deutlich jüngere Erscheinung einen sonnigeren Herkunftsort als den Papas vermuten lässt, kennt offenbar die kulinarische Verwertbarkeit der Mördermuscheln. Sie weiß auch, wie man sie am besten aus den Korallen hebelt, unterrichtet die anderen Zwei und binnen einer Stunde ist die gesamte Gegend restlos abgeerntet. Zufrieden lichtet die kleine Familie den Anker und ist noch vor dem Sonnenuntergang wieder aus der Lagune verschwunden. Mit dem entsetzten Blick auf das hinterlassene Unterwasserschlachtfeld am folgenden Tag wird klar, dass Nachhaltigkeit schon mit der Installation einer einzigen Gefriertruhe an Bord von Yachten an seine engen Grenzen stoßen kann. Unsere Speisekarte schrumpft etwas zusammen. Glücklicherweise gelangen uns wenigstens diese Fotoaufnahmen noch rechtzeitig vor dem Exodus.







2019-08-29 Raroia für Fortgeschrittene

Allmählich gehen unsere in Taiohae gebunkerten Vorräte zur Neige und wir steigen in den lokalen Einkaufsrhythmus ein, den das monatliche Versorgungsschiff hier vorgibt. Sobald wir das erwartete AIS-Signal des kleinen Frachters über unser UKW-Funkgerät empfangen, lichten wir den Anker, setzen die Segel und verlassen die Einsamkeit in Richtung Dorf. Bis auf die Bettlägerigen scheint die Bevölkerung des Atolls zunächst vollzählig auf dem kleinen, sauberen Betonpier versammelt zu sein. Man wartet plaudernd. Kinder jagen sich durch das Labyrinth aus Beinen. Strubblige Hunde versuchen unbeholfen am Spiel teilzuhaben oder sitzen geduldig in der Nähe raschelnder Kekstüten. An einer improvisierten Kasse irgendwo im Schatten der Lagerhalle gibt man später bei Gelegenheit seine Bestellung auf und begleicht die mit angegebenem Namen versehene Rechnung. Sind dann nach zwei, drei Stunden schließlich alle Bestellungen aufgenommen, wird auf dem Versorgungsschiff kommissioniert und davor geduldig gewartet und geplaudert und wieder gewartet. Wir lassen uns derweil ausgiebig über die aktuellen Vorkommen verschiedener natürlicher Nahrungsressourcen am Ostriff interviewen und gleichzeitig fachkundig in die Zubereitung der unerschöpflichen Wasserschnecken einweisen. Bei Einbruch der Dunkelheit scheint unsere Lücke im Speiseplan, die der Verlust an Mördermuscheln gerade erst mit sich brachte, wieder ausreichend geschlossen zu sein. Im Scheinwerferlicht setzt der Kran nun vorsichtig zwei gewaltige Kisten auf die Mole. Die Wartenden bilden einen großen Kreis um die angelandete Ware. Wer aufgerufen wird, tritt in die Mitte, bekommt die individuelle Bestellung verlesen, in Windeseile zusammengestellt und ausgehändigt. Was für ein Shopping-Event!
Am nächsten Morgen erwarten wir die RED PEARL vor dem Dorf. Deren Familiencrew hat sich auf ein paar gemeinsame Tage mit uns und eine Fortsetzung des im letzten Jahr in Tahuata begonnenen Tauchtrainings verabredet. Ortskundig lotsen wir sie durch die Untiefen der Lagune. Vor uns liegt eine grandiose Zeit, in der wir in einer bezaubernden Unterwasserlandschaft 2-4 Meter hoher Korallenstöcke in 10-15 Metern Tiefe, zwischen hunderten bunter Fische ausgiebig Gerätetauchen üben können. Mindestens ein halbes Dutzend Schwarzspitzenhaie umkreist uns stets in oft indiskretem Abstand. Sie seien absolut harmlos im Vergleich zu jeder in Rage geratenen Frau hier in Raroia, erklärte uns im letzten Jahr unsere Freundin Maria aus dem Dorf auf der gegenüberliegenden Atoll-Seite. Tatsächlich gewöhnen wir uns recht schnell an die ständige Gegenwart der schneidigen Raubfische und genießen es, mit ihnen gemeinsam schwerelos und staunend durch die bizarre Unterwasserlandschaft zu schweben.
Inzwischen haben wir Ende April und wir scheuen uns noch immer, die stille Abgeschiedenheit Raroias wieder zu verlassen. Das ist Wassercamping vom Feinsten. Vergleichbar saubere, ruhige und ökologisch intakte Orte werden wir auf unserer weiteren Reise wohl nicht mehr viele vorfinden. Wir könnten ewig hier bleiben, würden uns bröckelnder Zahnersatz und allmählich verschleißendes Equipment nicht nachdrücklich in größere Siedlungen der Zivilisation drängen. Wehmütig planen wir den Abschied, muss ja.






2019-09-17 Makemo

Im Morgengrauen des 5. Mai laufen wir ordentlich zerzaust auf das Makemo-Atoll zu. Hinter uns liegt eine ungemütliche Segelnacht, die uns entgegen aller Wetterprognosen von einem übergroßen Squall beschert wurde. Starkwind, waagerechte Regengüsse und eine fiese Kabbelsee säten so manche Zweifel ins treue Seglerherz. Längst ist alles Tuch geborgen um die Geschwindigkeit soweit zu drosseln, nicht vor Tagesanbruch den Pass zu erreichen. Nur mit dem Winddruck auf das nackte Rigg und der Strömung entlang des Riffs machen wir trotzdem fast ungebremste Fahrt. Zum Sonnenaufgang, etwa eine Stunde nach Hochwasser, erreichen wir die Passeinfahrt. Wind und Welle stehen gegen die bereits auswärts gerichtete Strömung, ein spektakuläres Szenario. Während der nächsten Stunden dürfte sich die Situation nur noch weiter zuspitzen. Wir legen also den Gashebel auf den Tisch und wagen die Einfahrt in den brodelnden Kessel. Dass man mit einem Schiff so hoch springen kann...!
In freundlicher Nachbarschaft von fünf weiteren Schiffen ankern wir zunächst ein paar Tage vor dem kleinen Dorf Pouheva, nutzen die lokalen Konsumangebote und lecken unsere frisch geschlagenen Wunden. Man spürt die im Vergleich zu Raroia größere Bevölkerungszahl des Atolls und die bessere Anbindung an die übrige Weltzivilisation. Im Gemeindehaus mühen sich Umweltschützer gerade in einer abendlichen Versammlung um Vereinbarungen zum Schutz der Seegurken. Diese hässlichen, großen Meeresegel säubern den Grund der Lagune von abgestorbenen Lebewesen. In Asien werden sie selbst gegessen, weshalb die Fischer hier wohl so viele davon für den Export aus der Lagune holen, dass die Wasserqualität inzwischen bedrohlich darunter leidet. Stillgelegte Perlfarmen lassen vermuten, dass hier schon früher Raubbau bis zum Kollaps betrieben wurde. Der Perlfarmer besitzt noch das mit Abstand größte Haus im Dorf. Nun möchten die Seegurkentaucher anscheinend den Anschluss schaffen. Wir verlegen uns sehr bald in die Einsamkeit unbewohnter Atoll-Regionen, können die schleichende Enttäuschung dort aber nicht aufhalten. Im Unterschied zu Raroia gibt es hier kaum Vögel auf den Motus, dafür etliche verfallene Hütten in einer ausgedünnten Vegetation. Auch der Blick unter die Wasseroberfläche löst eher Endzeitstimmung als Euphorie aus. Nach ein paar Tagen brechen wir unsere Suche nach dem Südseeidyll in Makemo ab und nehmen Kurs auf Kauehi.



Der Wind schwächelt auf der Überfahrt, so dass wir den Pass in die Lagune erst viel später erreichen, als ursprünglich geplant. Die Einfahrt ist breit und gradlinig. Mit raschem Fluch und bangem Blick auf die Wildwasserbahn wagen wir es dennoch, zur Unzeit einzulaufen.



2019-12-01 Zivilisationsschock

Der Abschied von den abgelegenen und ausgesprochen ruhigen Tuamotuatollen fällt uns erwartungsgemäß nicht leicht. An Tahiti mit seiner quirligen Großstadt Papeete segeln wir schnurstracks vorbei. Aber selbst im beschaulichen Moorea passiert uns beim ersten Landgang mehr Straßenverkehr, als in den gesamten letzten zwei Jahren. In Papeete hätten wir uns vermutlich direkt einweisen lassen müssen: abgasbenebelt und reizüberflutet.
Landschaftlich ist Moorea ein Träumchen mit einer sehr beeindruckende Bergkulisse und einem Riffsaum, der schaukelarme Ankerplätze über strahlend weißem Sandgrund garantiert.







Wir montieren unsere Mountainbikes, beradeln drei Wochen lang die gebotene Südseekulisse, lassen seit Monaten krümelnde Zahnfüllungen ersetzen und versuchen uns langsam wieder an den gehaltvollen Duft der Zivilisation zu gewöhnen. Eingenebelt von unzähligen Urlaubsfliegern, pausenlos verkehrenden Ausflugsbooten und ziellos umher rasenden Jetski, finden wir uns zurück ins 21. Jahrhundert. Wir buchen für Papillon einen Landstellplatz in Raiatea und für uns zwei Flugtickets nach Neuseeland um die kommende Zyklonsaison dort in alten Jeans und Campervan zu verbringen.
Bis dahin verlegen wir uns auf die ruhigere Insel Huahine und radeln uns das Profil von den Reifen. Im Hauptort der Insel findet gerade ein Festival statt. Deshalb proben Chor, Trommler und Tanzgruppen auf den Gemeindeplätzen der umliegenden Dörfer. Kostüme für die Auftritte der Künstler werden aus allerlei Naturmaterialien gebastelt. Manchmal zieht uns ein Südseechor so sehr in seinen Bann, dass sich unser Picknick am nahen Ufer mächtig ausdehnt: eine sehr schöne, sportliche und auch entspannte Zeit.



Erst drei Monate später nehmen wir die letzten 25 Seemeilen bis Raiatea vor den Bug und erwischen genau den Tag der Durchreise einer größeren Gruppe von Buckelwalen. Ein gewaltiges Exemplar, deutlich länger als PAPILLON, taucht nur wenige Meter neben uns auf- und danach unter uns durch. In einiger Entfernung kommen den ganzen Tag über hier ein Kopf, da ein Blas und dort eine Fluke an die Oberfläche. Selbst in der Lagune von Raiatea begegnen uns drei Wale, die sich wohl durch einen der Pässe herein verirrt hatten. Ihnen folgt ein Tross an Schaulustigen in Motorbooten. Uns wird etwas mulmig, als uns die offensichtlich gestressten Meeressäuger mit ihren lärmenden Verfolgern ausgerechnet in einer Engstelle begegnen. Aber alles gut gegangen! Wir hoffen, sie haben schnell ihren Weg zurück ins offene Meer finden können.



2019-12-17 Sommerferien

PAPILLON steht aufgebockt auf dem Trockenen und ist nach ein paar Tagen Werftarbeit für die bevorstehende Lagerung präpariert. Drinnen laufen derweil emsige Reisevorbereitungen fürs Sommercamp. Wir packen ein, was fünf Tropenjahre von der einst stolzen Garderobe übrig gelassen haben. Ein Investitionsstau ist nach den eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten der letzten Jahre nicht mehr zu übersehen. So stehen wir dann zu Zweit mit einem 6-Monats-Visum und einer schlaffen, nur zur Hälfte gefüllte Reisetasche vor der neuseeländischen Beamten und begehren Einlass. Im strengen Bewerbungsinterview lösen wir geduldig den scharfsinnig aufgedeckten Widerspruch zwischen Reisedauer und -gepäck auf und werden mit traditionell finsterer Mine willkommen geheißen.
Nach wenigen Tagen in Auckland starten wir dann inklusive Handy und Campervan komplett neu eingekleidet, quasi optisch assimiliert, zur Neuseeland-Rundreise.

Bay of Islands und Whangarei:







Heiße Quellen, Geothermie und Vulkanlandschaft am Taupo-See:






dann auf der Südinsel...
Marlborough Sounds:




Nelson Lakes National Park:







Banks Peninsula:




Castle Hill und Arthur's Pass:






Die bevorstehende Dezember-Sonnenwende planen wir nun im äußersten Süden zu verleben, dort wo die Tage am längsten und die Nächte am kürzesten sind.


2020-02-14 Sommerferien Fortsetzung

... und weiter geht die Neuseelandreise, zu den Pfannkuchenfelsen,



zum südlichsten Punkt unserer Weltreise,





dem vermeintlichen A... der Welt,



zum Milford Sound,









der Region um den Mt. Cook,




dem Abel Tasman




und wieder zurück zur Nordinsel.











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